Im Podcast "Der Wahlkreis" von ZEIT diskutieren die Journalist:innen Lisa Caspari, Robert Pausch und Paul Middelhof – allesamt der Millennial-Generation zugehörig – über die gesellschaftliche und politische Rolle der sogenannten Babyboomer, jener Geburtenjahrgänge zwischen 1955 und 1969. Die Folge trägt den Titel „Boomer State of Mind: Werden wir die Boomer vermissen?“. ### 1. Boomer beherrschen seit 20 Jahren die politische Macht Die Moderator:innen stellen fest, dass seit 2005 ausschließlich Boomer das Kanzleramt innehatten – Angela Merkel, Olaf Scholz und auch der designierte Kanzlerkandidat Friedrich Merz zählen zur Boomer-Generation. Diese Dominanz spiegle sich nicht nur auf der Bundesebene wider, sondern auch in vielen Spitzenpositionen von Wirtschaft, Kultur und Medien. „Die Boomer sind am Drücker“, heißt es lapidar. ### 2. Die Boomer-Welt zerbröckelt – Anpassung nur zögerlich Die Gäste diskutieren, dass das politische Weltbild der Boomer – geprägt von Transatlantik, Fortschrittsglaube und westlicher Hegemonie – sich gerade auflöst. Sie hätten Schwierigkeiten, sich an neue Realitäten wie Klimakrise, Krieg in Europa oder digitale Lebensrealitäten anzupassen. „Die Welt, in der die Boomer aufgewachsen sind, zerfällt“, sagt Paul Middelhof. ### 3. Rückwärtsgewandte Selbstbeweihräucherung statt Zukunftsvisionen Anhand zweier Beispiele – der Abschiedsfeier des Boomer-Chefs der Bundeszentrale für politische Bildung und dem 70. Geburtstag eines „Architekten der Energiewende“ – illustrieren sie ein Muster: Trotz offenkundiger Probleme in ihren Politikfeldern werde auf Veranstaltungen ausschließlich zurückgeblickt und gefeiert, was man alles geleistet habe. Junge Beobachter:innen erlebten das als Realitätsverweigerung. ### 4. „Boomern“ als neue soziale Kategorie Der Begriff „Boomer“ habe sich zu einem festen kulturellen Stereotyp weiterentwickelt, erklären die Hosts. Es gebe Memes, Verharmlosung von Diskriminierung und ein generatives Spannungsverhältnis, ohne dass ein echter Generationskonflikt vorläge. „Boomerisch“ beschreibt dabei ein Verhalten, das als veraltet, realitätsfern und humorlos empfunden wird. ### 5. Macht, Demografie und Ressourcenverbrauch Die Boomer seien nicht nur politisch einflussreich, sondern auch die größte Wähler:innengruppe von Union und SPD. Gleichzeitig würden sie mit ihrem Lebensstil – viel Fliegen, Autofahren, Fleischkonsum – das Klima belasten und das Rentensystem überlasten, weil sie sehr zahlreich seien. ## Einordnung Die Folge ist ein typisches Beispiel für generationssoziologische Unterhaltung auf hohem Sprachniveau, das zwischen journalistischer Analyse und satirischem Lamento schwankt. Die drei Hosts bedienen sich durchaus klischeehafter Zuschreibungen, verpacken diese aber in wohldosierten Selbstaffektionen („Ich achte auf Orthografie in WhatsApp“) und wissenschaftlich klingender Beobachtung. Die argumentative Schwäche liegt auf der Hand: Es wird mit großem Verallgemeinerungsbogen über eine heterogene Altersgruppe geredet, ohne systematisch zwischen Milieu, Geschlecht, Bildung oder regionalem Hintergrund zu trennen. Dass die Boomer-Generation politisch einflussreich ist, wird als empirische Tatsache vorausgesetzt – Belege bleiben aus. Insofern wirkt die Sendung weniger wie ein analytisches Gespräch, sondern wie eine stilkritische Runde, die sich ihrer eigenen Macht als Medienakteure kaum bewusst ist. Die Perspektive der besprochenen Generation bleibt konsequent ausgespart, was der Diskussion an Tiefe nimmt. Dennoch gelingt den Machern eine unterhaltsame, witzige Auseinandersetzung mit dem Thema Alter, Macht und Zukunftsfähigkeit – und das auf unterhaltsamem Niveau, ohne herablassend zu wirken. Hörempfehlung: Wer eine unterhaltsame, manchmal etwas selbstgerechte, aber nie langweilige Rundumschlag-Perspektive auf die Boomer-Debatte sucht, findet hier einen guten Einstieg – mit dem Bewusstsein, dass eine differenzierte Alten- und Generationenforschung anders aussieht.