Carl-Auer Sounds of Science: #237 Fabian Schneider | Jugendliche und Gruppenpsychotherapie
Ein Fachgespräch über systemische Gruppenpsychotherapie mit Jugendlichen, ihre Praxis-Vorteile und warum sie in Deutschland so selten angeboten wird.
Carl-Auer Sounds of Science
38 min read2027 min audioDr. Fabian Schneider, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, stellt in diesem Interview sein Buch "Systemische Gruppenpsychotherapie mit Jugendlichen" vor. Er betont die besondere Dynamik und Effektivität von Gruppentherapien gegenüber Einzelsettings, da Jugendliche durch gegenseitige Beratung und Peer-Unterstützung schneller Fortschritte machen. Schneider kombiniert dabei systemische Ansätze mit Ego-State-Therapie und Körperpsychotherapie, was laut eigenen Angaben besonders bei Jugendlichen gut ankommt. Kritisch diskutiert er, dass Gruppentherapie in der ambulanten Versorgung trotz vorhandener Zulassungen selten genutzt wird – unter anderem wegen falscher Einschätzungen zum Aufwand und mangelnder Ausbildung. Schneider fordert daher bessere Vernetzung, mehr Fortbildungen und eine stärkere Integration in Therapie-Curricula. Am Ende skizziert er Gesellschaftliches: Mehr Gruppenbildung könne Vereinsamung und politische Radikalisierung verhindern.
### 1 Gruppen setting ermögliche schnelleren Fortschritt als Einzeltherapie
Schneider berichtet, dass Jugendliche in der Gruppe „oft viel mehr“ täten als in Einzelsettings. Die Vielfalt an Beziehungen und die Möglichkeit, sich gegenseitig als Expert:innen zu erleben, stärke Selbstwirksamkeit und Solidarität: „die Jugendlichen sich ja gegenseitig auch beraten ... dadurch aus dieser Patientenrolle rauskommen und selber Experten werden“.
### 2 Körper- und Teilepsychotherapie ergänzen systemische Gruppenarbeit
Die Integration von Körperübungen und Ego-State-Arbeit („innere Familie“) sei keine Zusatzbelastung, sondern werde von Jugendlichen aktiv nachgefragt. Im Feedback würden „die Körperübungen“ neben „sich aussprechen“ am häufigsten als hilfreich genannt.
### 3 Gruppenzulassung wird selten genutzt – Aufwand wird überschätzt
Viele Therapeut:innen mit Gruppenzulassung praktizieren nicht, weil sie Organisationsaufwand, schwer steuerbare Dynamik oder fehlende Patient:innen befürchten. Schneider hält dem entgegen, dass bei halboffenen, störungsübergreifenden Gruppen der bürokratische Aufwand geringer ausfalle als bei Einzeltherapien.
### 4 Ausbildungsinstitute integrieren kaum Gruppentherapie
In den von ihm beobachteten Kölner Instituten gebe es nur „spärliche Integration“; oft fehlen praktische Übungsmöglichkeiten. Der nachträgliche Erwerb der Zulassung sei mit hohem Dokumentationsaufwand verbunden, was Interessierte abschrecke.
### 5 Vernetzung und sichtbare Kongresse fehlen
Es gebe keinen deutschen Fachkongress ausschließlich für Gruppenpsychotherapie. Schneider organisiert daher eine eintägige Kölner Tagung (4. Juli 2026) und plant einen eigenen Podcast, um „Einzelgänger“-Strukturen aufzubrechen und den Austausch zu fördern.
## Einordnung
Der Podcast wirkt wie ein professionelles Fachgespräch mit klarer Zielgruppe: therapeutisch Tätige, die über Gruppenarbeit mit Jugendlichen nachdenken. Die Gesprächsführung bleibt höflich und geschmeidig, hinterfragt jedoch kaum. Widersprüche (z. B. zwischen angeblicher geringer Organisation und der Notwendigkeit aufwendiger Supervision, Qualitätszirkel, Elternarbeit) werden nicht angepickt. Evidenzen für therapeutische Wirksamkeit bleiben auf Einzel-Feedbacks beschränkt, potenzielle Risiken (Gruppendruck, Datenschutz, Trigger durch Körperarbeit) werden nicht thematisiert. Die These, mehr Gruppenbildung könne AfD-Wähler:innenquoten senken, ist plakativ und ohne Belege. Insgesamt ein motivierendes, aber eher werbliches Format für Schneider’s Buch und Tagung – mit wenig kritischer Distanz.