The Lawfare Podcast: Lawfare Daily: What’s Behind Russian Incursions Into NATO
Sicherheitsexpert:innen diskutieren die rechtliche und strategische Bewertung russischer Luftverletzungen über Polen und Estland sowie die Grenzen der NATO-Antwort.
The Lawfare Podcast
69 min read3695 min audioIm Gespräch mit Lawfares Ukraine-Fellow Anastasiia Lapatina analysieren Chatham-House-Expertin Minna Ålander und Völkerrechtler Mykhailo Soldatenko Russlands massive Drohnen- und Flugzeug-Überflüge über polnischen und estnischen Luftraum im September 2025. Sie diskutieren, ob die getroffene NATO-Antwort proportional war und wie das Bündnis künftig solchen Hybridaktionen begegnen könnte.
### 1. Erstmals NATO-Abwehr eines größeren Drohenschwarms
Ålander betont, dass Polens und der niederländischen F-35-Piloten erstmalig mehrere russische UAVs in polnischem Luftraum abschossen. Sie hält das Vorgehen angesichts der niedrigen Drohnenkosten (ca. 10.000 $ pro Stück) und der Abwehr von nur rund vier Drohnen für verhältnismäßig, fordert aber künftig günstigere Anti-Drohnen-Systeme entlang der Ostflanke.
### 2. Intentionaler Test Russlands an der NATO-Schwelle
Die Analysten sehen starke Hinweise auf ein bewusstes Vorgehen Moskaus: mehrere Drohnen aus Belarus, kaum Ziele in Polen, überwiegend Leucht- und Aufklärungsdrohnen. Ålander deutet es als gezielten Test, ob europäische Verbündete – nicht die USA – reagieren. Soldatenko betont die völkerrechtliche Zäsur zwischen bloßer Luftraumverletzung und bewaffnetem Angriff, weshalb Polen nur Artikel-4-Konsultationen auslöste, nicht Artikel-5-Hilfe.
### 3. US-Amerikanische Zurückhaltung als strategische Schwäche
Die Gäste kritisieren die zögerliche Reaktion der US-Regierung. Donald Trump brauchte zwölf Stunden, um Polens Präsidenten zurückzurufen, und relativierte die Vorwürfe gegen Moskau. Sie betrachten dies als Signal für Europäisierung der Ostflanke, warnen jedoch, dass Washingtons Zurückhaltung Russland ermutigt, weiter unterhalb der Artikel-5-Schwelle zu agieren.
### 4. Baltische Länder gewöhnt sich an ständige Luftverletzungen
Ålander zählt über 300 russische Jet-Alarmierungen für die baltische NATO-Luftwaffe 2023 allein. Die meisten Verstöße dauern Sekunden, doch drei Jets blieben 2025 zwölf Minuten über Estland. Sie erklärt, dass Estland mangels eigener Luftwaffe keine nationalen Drohungen abschießen kann; alle Maßnahmen erfordern Bündnisentscheidungen, während Russland Verletzungen zur Drohung und als Reaktion auf politische Entwicklungen nutzt.
### 5. Hybridkrieg als Kommunikationsmittel
Soldatenko deutet die Luftvorstöße als koordinierte Signale: Nach westlichen Vorstellungen einer europäischen Friedenstruppe in der Ukraine droht Russland mit Angriffen auf jedes Flugzeug dort. Die Drohnen in Polen demonstrieren, dass Moskau bereit sei, den Konflikt in die NATO-Luft zu tragen und Europa vor der eigenen Luftverteidigung zu warnen. Die Analysten fordern robustere europäische Luftschutz-Initiativen für die Ukraine sowie neue Anti-Drohnen-Netze entlang der Ostflanke.
## Einordnung
Die Episode zeigt, wie professionelle Sicherheitsexpertise auf kompakte Weise komplexe Völkerrechtsfragen und strategische Dilemmata vermittelt. Besonders wertvoll ist die klare Trennung zwischen normativer Bewertung („proportionale Reaktion“, „Artikel-5-Schwelle“) und politischer Empfehlung (mehr europäische Eigenverantwortung, Anti-Drohnen-Systeme). Die Gesprächsteilnehmer:innen belegen ihre Thesen mit konkreten Zahlen, Zeitplänen und militärischen Details, verzichten jedoch auf simple Rezepte. Auffällig ist die nüchterne Einschätzung, dass Moskau durchaus absichtlich unterhalb der Kriegsschwelle operiert und dabei westliche Eskalationsängste ausnutzt – ein Befund, der ohne Polemik oder übertriebene Alarmismus vorgetragen wird. Für Hörer:innen bietet die Sendung einen fundierten Überblick über die neue Qualität russischer Luftaktivitäten und die rechtlichen wie politischen Zwänge, denen sich NATO-Staaten gegenübersehen.