Input: Leben mit der Angst: Wenn Suizid im Raum steht
Wie kann man Angehörige begleiten, die an Suizid denken? Input spricht mit einer Mutter und einer Suizidologin über Kommunikation, Grenzen und konkrete Hilfsangebote.
Input
26 min read1863 min audioDie Radio-SRF-3-Reportage „Wie begleitet man einen Menschen, der nicht mehr leben will?“ begleitet Betroffene und Expert:innen durch das Schweigen, das Suizidgedanken umgibt. Beatrice Gmünder führt zwei zentrale Gespräche: mit Laura (Pseudonym), deren Sohn seit Jugend psychisch krank ist und sich vor anderthalb Jahren schwer verletzte, sowie mit Ute Lewitzka, Professorin für Suizidologie. Lewitzka betont, 60–70 % der Suizident:innen hätten vorher Signale gesetzt – oft indirekt wie „Die haben’s gut“ auf dem Friedhof. Die wichtigste Präventionsmaßnahme sei, die Gedanken ernst zu nehmen, statt sie wegzureden, und einfach „auszuhalten“: „Ich bin für dich da“ statt „Geh doch joggen“. Laura beschreibt, wie sie nach dem Vorfall mit dem Sohn Vereinbarungen traf („einmal pro Woche melden“), ihre eigene Hilflosigkeit respektiert und zugleich die Schwester entlastet. Die Sendung nennt konkrete Hilfsangebote (143, Trauernetz.ch) und stellt die Zahlen vor: 1 000 Suizid-Tote pro Jahr in der Schweiz, Tendenz sinkend. Der Podcast verzichtet auf Details zur Methode, sensibilisiert aber für Sprache, Kommunikation und die Grenzen der Angehörigen.
### Suizid-Signale sind oft indirekt
Lewitzka erklärt, viele Betroffene sprächen nicht direkt vom Sterben, sondern würden Sätze wie „Ach, die haben’s gut“ auf dem Friedhof äußern. Die Aufgabe der Angehörigen sei, diese Türe aufzustoßen: „Ich darf das ansprechen … Die Gedanken sind schon in dieser Person drin.“
### Statt Lösungsraten: „Aushalten“ als Prävention
Die Expertin warnt vor schnellen Ratschlägen wie „Geh doch joggen“. Es helfe dem Gegenüber mehr, wenn man die Krise anerkenne: „Du hast es gerade schwer, ich kann es auch gerade nicht ändern, aber ich bin für dich da.“
### Angehörige dürfen sich selbst schützen
Laura verabredete mit ihrem Sohn feste Meldezeiten, um nicht in Kontrolle zu verfallen. Lewitzka ergänzt, auch Angehörige müssten auf ihre Grenzen achten: „Wenn mir gerade nicht gut geht, bin ich nicht gut geeignet jemanden zu begleiten.“
### Schweiz: 1 000 Suizid-Tote jährlich, Tendenz fallend
Seit 1985 halbierte sich laut Bundesamt für Statistik die Zahl der Suizid-Toten von 1 800 auf rund 1 000 pro Jahr. Männer wählen öfter härtere Mittel und suchen seltener Hilfe.
### Kommunikation entlastet alle Beteiligten
Laura spricht offen mit ihrem Sohn, der Schwester und der ganzen Familie über Suizidgedanken. Lewitzka plädiert für Transparenz statt Schweigen, weil Verschweigen Kindern oft mehr Angst mache als Aufklärung.
## Einordnung
Der Input-Podcast behandelt das Tabuthema Suizid mit journalistischer Zurückhaltung und klarem Präventionsfokus. Die 30-minütige Reportage verzichtet auf dramatisierende Details und bietet stattdessen konkrete Handlungsanweisungen für Betroffene und Angehörige. Besonders gelungen ist die Doppelperspektive: Eine Mutter erzählt unverstellt vom Alltag mit suizidalem Sohn, während eine Suizidologin wissenschaftliche Erkenntnisse einbettet. Die Sendung gelingt ein ausgewogener Ton, der weder verharmlost noch alarmiert. Kritisch anzumerken ist, dass die Stimme von Suizidalität selbst nur indirekt durch das Schweizer Hilfsangebot 143 vertreten ist; Betroffene kommen nicht selbst zu Wort. Die Reportage reproduziert auch das gängige Geschlechternarrativ („Männer wählen härtere Mittel“), ohne dabei geschlechtsuntypische Verläufe zu problematisieren. Insgesamt liefert die Folge eine einfühlsame Einführung in kommunikative Strategien und macht deutlich, dass Offenheit, Grenzen erkennen und professionelle Hilfe die zentralen Säulen suizidaler Prävention sind.