Newsroom Robots: Ludwig Siegele: Inside The Economist’s AI Playbook
Ludwig Siegele erklärt, wie *The Economist* mit KI experimentiert, was funktioniert und warum ein eigenes AI Lab Zukunftsszenarien testet.
Newsroom Robots
59 min read2477 min audioIm Podcast "Newsroom Robots" spricht Nikita Roy mit Ludwig Siegele, Senior Editor für AI-Initiativen beim britischen Magazin *The Economist*, über dessen Strategie zur Integration von Künstlicher Intelligenz in den journalistischen Alltag. Siegele beschreibt, wie das Magazin seit 2022 mit KI experimentiert, zunächst mit einem internen Infrastrukturaufbau, Schulungen und Toolzugängen wie ChatGPT Enterprise oder Deepset. Besonders erfolgreich seien Anwendungen in Übersetzung, Recherche (etwa mit NotebookLM) und Formatierung. Problematisch blieben Stilprüfer, da britische Regeln für LLMs schwer erlernbar seien. Um über Einzellösungen hinauszugehen, wurde ein eigenes "AI Lab" gegründet – ein interdisziplinäres internes Startup mit redaktioneller und kommerzieller Beteiligung, das langfristige Szenarien (z. B. Disintermediation durch Aggregatoren) testet. Publikumsnahe Experimente umfassen TikTok-Dubs, mehrsprachige Espresso-App-Summaries und einen SCOTUS-Bot zur Urteilsprognose. Partnerschaften mit Google (NotebookLM) basieren auf geteilter Kontrolle und transparenten Verantwortlichkeiten; Deals mit Crawling-Zahlungsdiensten (Tollbit, Cloudflare) werden erwogen, um Content-Monetarisierung zu sichern. Die größten Hürden seien technische Qualität, interne Bürokratie und mangelnde Nachhaltigkeit von Tools, die noch keine messbaren ROI liefern. Langfristig erwartet Siegele eine Automatisierung großer Teile des Journalismus, wodurch Journalist:innen sich auf Recherche, Netzwerke und Qualitätssicherung konzentrieren müssten.
### 1. Übersetzungs- und Recherche-Pipeline als frühe Erfolge
Überraschend gut funktionierten Übersetzungen von Text und Video; ein Tool erzeuge französische oder mandarinische TikTok-Clips mit synchronisierten Mundbewegungen. Auch Recherche-Assistenten wie NotebookLM beschleunigten die Vorbereitung, etwa durch sechsstündige Tiefenrecherche statt manuellem Archivsuchen. Siegele: "Es ist wirklich überraschend... man kann einen sehr guten, fast journalistischen Text bekommen."
### 2. Stilprüfer scheitern an feinen Sprachregeln
Ein Projekt, britische Grammatik automatisiert zu kontrollieren, erreichte nur 80 % Genauigkeit; Kommas, Anführungszeichen und amerikanische Begriffe blieben fehlerhaft. Die Erfahrung zeige, dass LLMs derzeit nicht auf "gutes Schreiben" optimiert seien, sondern auf akademische Benchmarks. "Trying to teach an American to speak British English – very, very difficult."
### 3. AI Lab als Brückenschlag zwischen Redaktion und Kommerz
Das 2024 gegründete AI Lab operiert organisatorisch getrennt, um schnell große Experimente umzusetzen. Es vereint Entwickler:innen, Designer:innen und Product-Manager:innen mit redaktionellem und kommerziellem Blick. Ziel ist es, sich mental "drei bis fünf Jahre vorzuspulen" und zu testen, wie ein Verlag in einer weitgehend automatisierten Medienwelt relevant bleibt, ohne zur reinen Datenquelle für Aggregatoren zu werden.
### 4. Publikumsnahe Formate: SCOTUS-Bot und mehrsprachige Kurzform
Zur US-Supreme-Court-Entscheidungsphase wurde ein Bot trainiert, der auf Basis von Gerichts-Dokumenten Urteile prognostizierte. Weitere Formate sind automatisierte Espresso-Sprachversionen und getitelte Notebooks zu historischen Ausgaben (1945, "World Ahead"). Die Marke bleibe dabei sichtbar, um Disintermediation zu verhindern.
### 5. Monetarisierung durch selektive Partnerschaften statt Voll-Lizenzierung
*The Economist* verhandelt mit Diensten wie Tollbit, um Content-Crawling zu vergüten, lehnt aber pauschale Training-Deals mit OpenAI ab. Die Kooperation mit Google NotebookLM sei bewusst begrenzt: vier öffentliche Notebooks, klare Trennung zwischen redaktionellem Content und maschinellen Zusätzen, um die Marke nicht zu verwässern. Langfristig brauche es neue ökonomische Modelle, damit Verlage überleben können.
## Einordnung
Die Sendung bietet einen transparenten Blick darauf, wie ein traditionsreiches Medium experimentiert, was funktioniert und wo Grenzen sind. Besonders interessant ist das offene Eingeständnis, dass viele Tools „nur" Inkrementschritte seien und bislang kaum messbaren ROI liefern; dennoch werden sie weiter verfolgt, um Mitarbeitende vertraut zu machen. Kritisch bleibt, dass externe Perspektiven – etwa von KI-Forscher:innen, Datenschutz-Expert:innen oder unabhängigen Ethiker:innen – im Gespräch fehlen; die Debatte verläuft weitgehend intern. Die Machtasymmetrie zu Tech-Konzernen wird benannt, aber letztlich mit pragmatischen Partnerschaften beantwortet, ohne grundlegendere Abhängigkeiten zu hinterfragen. Die Folge zeigt, wie ein professionelles Medienhaus versucht, zwischen Innovation und Marke zu balancieren – ohne verschwörerische oder rechtsextreme Inhalte.