Nachhaltigkeit erfolgreich umsetzen - mit dem Sustainability Podcast für Profis: Gewinne Zukunft.: #86 Kreislaufwirtschaft am Limit: Ein Wissenschaftler über Mythen, Chancen und die ‘drei Hauptsätze’ des Recyclings.
Ein Experte erklärt, warum perfektes Recycling ein Mythos ist und wie Unternehmen mit EPR & Co. umgehen können.
Nachhaltigkeit erfolgreich umsetzen - mit dem Sustainability Podcast für Profis: Gewinne Zukunft.
72 min read3242 min audioIm Podcast "Gewinne Zukunft" spricht Moderator Zackes Brustik mit Prof. Thomas Gries, Leiter des Instituts für Textiltechnik der RWTH Aachen, über die Grenzen und Potenziale der Kreislaufwirtschaft. Gries widerlegt den Mythos eines perfekten Closed-Loops und zeigt auf, warum 100 % Recycling physikalisch und wirtschaftlich unmöglich sei – maximal 30 % seien realistisch. Er erklärt die „drei Hauptsätze der Kreislaufwirtschaft“: Energieverluste, Qualitätsverluste und teurere Produktion durch kleinere Anlagen. Am Beispiel der Textilindustrie zeigt er auf, wie wichtig Kollaboration, sektorübergreifende Kooperation und neue Geschäftsmodelle sind. Diskutiert werden auch die EU-Regulierungen wie das Circular Economy Act und die Extended Producer Responsibility (EPR), die Unternehmen verpflichten, Produkte zurückzunehmen und zu recyclen. KI und Digitalisierung könnten helfen, Recyclingeffizienz zu steigern, etwa durch automatisierte Sortierung oder digitale Produktpässe. Gries betont, dass nur durch gemeinsames Handeln von Industrie, Politik und Konsument:innen die Kreislaufwirtschaft vorankomme – trotz technischer und psychologischer Herausforderungen.
### 1. 100 % Recycling ist ein Mythos – 30 % sind das Maximum
Prof. Gries erklärt, dass ein vollständiges Recycling technisch und wirtschaftlich unmöglich sei. Berechnungen zufolge seien 30 % realistisch, da jeder Prozessschritt Verluste mit sich bringe („Dann kommt man letztendlich auf ungefähr 30 %.“).
### 2. Die „drei Hauptsätze der Kreislaufwirtschaft“ begrenzen das Mögliche
Gries formuliert drei Grundsätze: Energie muss ständig zugeführt werden, die Materialqualität nimmt ab, und dezentrale Recyclinganlagen seien teurer („Die Produktion auf diesen Anlagen ist ungefähr 5 bis sechs Mal teurer.“).
### 3. Kollaboration ist entscheidend – keine Technologie kann allein liefern
Er betont, dass Recycling keine Einzeltechnologie sei, sondern eine „Konfiguration aus mehreren Technologien“, die nur durch Zusammenarbeit von Unternehmen, Logistik und Politik funktioniere („Ohne Kollaboration ist es ein Rohrkrepierer.“).
### 4. Verbraucherverhalten ist der größte Hebel – nicht die Technik
Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Kleidungsstücks liegt bei nur vier Tragezyklen. Durch Überproduktion und kurze Nutzung gehen 50 % der Textilien direkt in den Müll – noch bevor sie beim Konsumenten ankommen.
### 5. EU-Regulierungen wie EPR zwingen Unternehmen zu neuen Geschäftsmodellen
Die Extended Producer Responsibility (EPR) verpflichtet Hersteller, Produkte zurückzunehmen und zu recyclen. Das erfordere neue Formen der Zusammenarbeit und Anreize wie „Hosenpfand“, um Konsument:innen zur Rückgabe zu motivieren.
### 6. KI und Digitalisierung können Recyclingprozesse optimieren
Digitale Produktpässe und KI-gestützte Bilderkennung könnten helfen, Materialien besser zu identifizieren und zu sortieren. Das sei entscheidend, um Recyclingeffizienz zu steigern und manuelle Arbeit zu reduzieren.
## Einordnung
Der Podcast bietet eine sachliche, faktenbasierte Auseinandersetzung mit den realistischen Grenzen der Kreislaufwirtschaft. Prof. Gries gelingt es, komplexe technische und wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich zu machen, ohne in Tech-Sprech zu verfallen. Besonders wertvoll ist seine klare Position gegenüber politisch motivierten Zielsetzungen wie „100 % Recycling“, die er als wissenschaftlich haltlos entlarvt. Die Gesprächsführung bleibt auf Augenhöhe, Moderator Brustik stellt kritische Nachfragen und bringt eigene Recherche ein. Der Fokus auf die Textilindustrie dient als konkrete Fallstudie, die Erkenntnisse lassen sich jedoch auf andere Branchen übertragen. Der Beitrag zeigt, dass echte Nachhaltigkeit nur durch Systemdenken, Kooperation und ehrliche Bewertung technischer Möglichkeiten erreicht werden kann. Für Unternehmen, die sich mit Kreislaufwirtschaft und EPR-Regulierungen beschäftigen müssen, liefert diese Folge wertvolle Orientierung.
Hörempfehlung: Ja – wer sich mit Kreislaufwirtschaft, EPR oder regulatorischen Anforderungen beschäftigt, bekommt hier fundierte, praxisnahe Einblicke von einem führenden Experten.