Politik mit Anne Will: Wird der Rechtsstaat zur Kampfzone? Mit Frauke Brosius-Gersdorf
Frauke Brosius-Gersdorf spricht offen über die Intrigen, die ihre geplatzte Wahl zur Verfassungsrichterin stoppten – ein Blick hinter die Kulissen parteipolitischer Postenverteilung.
Politik mit Anne Will
12 min read4197 min audioAnne Will spricht mit der Juristin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf über deren gescheiterte Ernennung zum Bundesverfassungsgericht. Nach einstimmig positiver Prüfung durch alle Fraktionen und Länder wurde die geplante Wahl am 12. März 2025 überraschend abgesagt. Brosius-Gersdorf macht eine gezielte mediale Kampagne verantwortlich, insbesondere einen FAZ-Artikel, der ihr vorgeworfen habe, die Bundesnotbremse als verfassungswidrig bezeichnet zu haben. Sie erkennt in dem Vorgang parteipolitische Machtspiele um die Verteilung der Richterposten zwischen SPD und CDU. Die Juristin betont, dass die Kritik an ihrer Gutachtenposition zur Corona-Politik nicht stichhaltig sei, da das Gericht selbst später einzelne Maßnahmen für verfassungswidrig erklärt habe.
### 1. Gezielte Kampagne stoppt Kandidatur
Brosius-Gersdorf zufolge lief zunächst alles nach Plan: „Alle Länder zugestimmt haben, alle Fraktionen zugestimmt haben und dass die Wahl im März stattfinden kann. Und es hieß, es sei ein Selbstläufer.“ Nach Abschluss der Prüfungen habe ein FAZ-Artikel eine negative Berichterstattung ausgelöst, woraufhin die Wahl abgesagt wurde.
### 2. Vorwurf: „Bundesnotbremse“ als verfassungswidrig bezeichnet
Der Vorwurf richtete sich gegen ein Gutachten, in dem sie die Corona-Maßnahmen als „nicht verhältnismäßig“ bezeichnete. Sie habe jedoch auch gute Gründe für dieen Verfassungskonformität dargestellt. Ihre Position sei wissenschaftlich, nicht parteipolitisch motiviert gewesen.
### 3. Bundesverfassungsgericht bestätigte Teilpositionen
Brosius-Gersdorf weist darauf hin, dass das Gericht später selbst einzelne Regelungen für verfassungswidrig erklärte. Ihre juristische Einschätzung sei damit „gar nicht so abwegig“ gewesen, weshalb sie den Vorwurf als „vorgeschobenes Argument“ betrachtet.
### 4. Parteipolitische Postenverteilung statt Qualifikation
Die Juristin hebt hervor, dass es sich bei den Wahlen um politische, nicht um reine Fachentscheidungen handle. Die Parteien würgen sich Posten zu, wobei ihre Nichtwahl die Balance zwischen SPD und CDU verschiebe. „Die SPD hat jetzt einen Vorschlag weniger. Und die CDU einen Vorschlag mehr.“
### 5. Kampagnen als Mittel zur Machtsicherung
Sie sieht in der Kampagne ein Mittel, sie „aus dem Weg zu räumen“. Die gezielte Diskreditierung habe ihre Funktion erfüllt, indem sie die Mehrheitsverhältnisse im Gericht beeinflusst habe, ohne dass neue Fakten vorgelegen hätten.
## Einordnung
Anne Will führt das Interview professionell und journalistisch durch. Sie stellt kritische Nachfragen, etwa ob der Vorwurf berechtigt sei, und verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht später teils ähnlich urteilte. Die Sendung bleibt auf der Ebene der politischen Prozesse, ohne die zugrunde liegende Rechtsfrage im Detail zu diskutieren. Besonders bemerkenswert ist die Offenheit, mit der hier ein Machtgeschacher zwischen Parteien offengelegt wird. Brosius-Gersdorf wirft den Parteien vor, Posten im höchsten deutschen Gericht nach taktischen Gesichtspunkten zu verteilen, wobei fachliche Qualifikation nur eine Nebenrolle spiele. Diese Darstellung bestärkt den Eindruck, dass die Auswahl der Verfassungsrichter:innen weniger von juristischer Exzellenz als von parteipolitischem Kalkül geprägt ist. Die Episode liefert damit einen kritischen Einblick in die Beziehung zwischen Politik und Justiz und regt zum Nachdenken über Transparenz und Legitimation der Verfahren an.
Hörempfehlung: Wer sich für die Schnittstelle von Politik und Recht sowie für die Hintergründe deutscher Personalentscheidungen interessiert, erhält hier spannende Einblicke in parteipolitische Machtspiele um den höchsten Gerichtshof.