Geschichten aus der Geschichte: GAG525: HB04 - Tödliche Abkürzung & Die Seekuh, die kam und verschwand
Eine packende Doppel-Lesung über die Donner Party und die Stellersche Seekuh – historische Abenteuer zwischen Überleben und Ausrottung.
Geschichten aus der Geschichte
62 min read3700 min audioIm Format „Hörbuch-Folge" präsentieren die Historiker Daniel Meßner und Richard Hemmer zwei eigenständige Kapitel aus ihrem gemeinsamen Buch „Geschichten aus der Geschichte". Richard liest Daniels Text über die Donner Party, eine Siedlergruppe von 1846, die durch eine empfohlene „Abkürkung" in die tödliche Falle der Sierra Nevada geriet, dort im Schnee festsaß und erst nach monatelangem Überlebenskampf – inklusive Kannibalismus – gerettet wurde. Daniel trägt Richards Geschichte über die Stellersche Seekuh vor, die 1741 während der Zweiten Kamtschatka-Expedition entdeckt und infolge skrupelloser Beutegreiferei binnen Jahrzehnten ausgerottet wurde. Beide Episoden stehen exemplarisch für Frühformen kolonialen Fortschrittsglaubens und dessen menschliche wie ökologische Kollateralschäden.
### 1. Die angebliche Abkürkung nach Kalifornien
Die Donner Party folgte dem selbsternannten Wegweiser Lansford Hastings, der eine nie erprobte Route („Hastings Cutoff") als 500 km kürzer bewarb; tatsächlich verlängerte sich der Weg um 240 km und verzögerte den Treck so lange, dass er bei Wintereinbruch in den Bergen steckenblieb.
### 2. Überleben am Rande des Menschenmöglichen
Ohne ausreichend Proviant und von Schneestürmen eingekesselt, mussten die Siedler:innen zunächst Knochenbrühe und Leder kochen, später bei einzelnen Gruppen auf Kannibalismus zurückgreifen, um nicht zu verhungern – ein Tabubruch, der die Tragödie bis heute prägt.
### 3. Die Seekuh als lebendes Fossil
Georg Wilhelm Steller beobachtete 1741 auf einer unbewohnten Insel vor Kamtschatka eine bisher unbekannte, bis zu neun Meter lange Seekuh, lieferte die einzige wissenschaftliche Beschreibung und musste mitansehen, wie Besatzungsmitglieder die wehrlose Art als lebendes Proviantlager nutzten.
### 4. Aussterben in Echtzeit
Nachdem Pelzhändler:innen von der leichten Beute gehört hatten, wurden die Tiere systematisch geschlachtet; 1768 war die letzte Stellersche Seekuh tot – ein Beispiel dafür, wie koloniale Gewinnlogik selbst noch unbekannte Arten binnen eines Menschenalters verschwinden lässt.
### 5. Perspektivlosigkeit der Übermacht
Beide Geschichten zeigen, wie europäisch-amerikanische Akteure ihre Ziele – Besiedlung, Wissen, Profit – mit missionarischer Selbstgewissheit verfolgten, während indigene Bevölkerungen (etwa die Washoe oder sibirische Völker) entweder als störende Kulisse oder als Arbeitskräfte instrumentalisiert wurden.
## Einordnung
Die Folge folgt dem bewährten Schema des Formats: lockerer Smalltalk, anschließend lange, detailreiche Erzähltexte, schließlich ein kurzer Kommentar. Die Kapitel sind quellenbasiert, flüssig geschrieben und durch rhetorische Fragen sowie kleine Anekdoten kurzweilig gehalten. Insgesamt wirkt die Sendung wie ein Freundschaftsplausch mit anschließender Vorlesestunde; journalistische Distanz oder kritische Gegenrede bleiben aus. Die Moderatoren:innen bedienen sich dabei der klassischen Abenteuer-Topoi (unberührte Natur, Überlebenskampf, Heldenmut), ohne die kolonialen Machtverhältnisse systematisch zu hinterfragen. Zwar erwähnen sie die Vertreibung indigener Völker und die Ausbeutung der Natur, doch bleibt die Erzählperspektive auf die europäisch-amerikanischen Protagonist:innen zentriert. Indigene Stimmen oder wissenschaftliche Gegenberichte fehlen, wodurch die Geschichten trotz reflektierter Einwürfe letztlich im Modus des spannenden Historienkrimis erzählt werden. Für Hörer:innen, die unterhaltsame, aber faktenreiche historische Anekdoten schätzen, ist die Folge dennoch eine klare Empfehlung – wer jedoch eine entkolonialisierte oder aktiv kritische Perspektive sucht, wird hier kaum neue Einsichten gewinnen.