DW AfricaLink: Peace at a price: Why northern Nigerian communities are negotiating with militants
DW-AfricaLink beleuchtet, wie Gemeinden in Nord-Nigeria direkt mit bewaffneten Gruppen verhandeln, weil der Staat sie im Stich lässt.
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23 min read1524 min audioIn der DW-AfricaLink-Folge "Communities in northern Nigeria are reportedly engaging in direct negotiations with terror groups" berichten Josephine Mahachi, Dengiyefa Angalapu und Abiodun Jamiu über die Notlage lokaler Gemeinschaften in Nord-Nigeria, die sich aus Verzweiflung direkt mit Dschihadisten und Banditen verhandeln, weil der Staat sie jahrelang im Stich gelassen habe. Die Sprecher:innen skizzieren eine Situation, in der Dorfälteste Schutzgelder an bewaffnete Gruppen zahlen, um Felder bestellen oder Märkte öffnen zu dürfen, während gleichzeitig parallele Steuer- und „Justiz“-Strukturen der Milizen entstehen. Betroffene Frauen berichten, dass ihre Angehörigen entführt und Dörfer niedergebrannt worden seien, woraufhin viele Vertriebene trotz Wut und Trauer bereit seien, „Friedensabkommen“ zu akzeptieren. Die Experten warnen, dass diese Praxis die staatliche Legitimität unterminiere und Kinder und Jugendliche zunehmend Gewaltakteure als neue Autoritäten wahrnähmen.
### 1. Gemeinden zahlten Schutzgeld an bekannte Kämpfer
Angalapu erklärt, die Dorfbewohner:innen kennen die Angreifer persönlich: „If you study the conflict in Nigeria very carefully … people will tell you, I know his father. I know his mother. I know his brother." Weil der Staat versage, sei die Zahlung von „protection fees“ in Form von Geld, Motorrädern oder Feldarbeit eine rationale Überlebensstrategie.
### 2. Parallele Steuer- und Rechtssysteme entstünden bereits
Die Milizen errichteten eigene „mediation centers“ und „tax collection systems“, sodass in manchen Gebieten „ungoverned spaces“ entstünden, in denen nicht die Regierung, sondern bewaffnete Gruppen herrschten. Diese Strukturen würden langfristig schwer rückgängig zu machen sein.
### 3. Frieden sei stets brüchig und temporär
Jamiu berichtet, dass Abkommen mit einer Gruppe keinen Schutz vor Angriffen konkurrierender Banden bieten würden. Die Gewinne seien daher „fragile“: Märkte öffneten kurzfristig, Entführungen gingen zurück, doch die nächste Gewaltwelle folge oft prompt.
### 4. Staat verliere Vertrauen und Kontrolle
Weil Militär und Polizei nur sporadisch präsent seien und nach Einsätzen wieder abziehen, während die Banditen dauerhaft vor Ort blieben, entscheiden sich Gemeinden rational für Kooperation mit den Kämpfern. Dies gelte laut Angalapu als „very serious security breach“, weil Dorfbewohner:innen zu „accessories“ der Terrorgruppen würden.
### 5. Langfristige Gefahr der Rekrutierung
Die Normalisierung bewaffneter Akteure als Schutz- und Steuerbehörden führe dazu, dass aufwachsende Kinder und Jugendliche diese Milizen als legitime Ordnungsmacht anerkennen könnten. Dies erleichtere später die Rekrutierung und festige parallelstaatliche Strukturen.
### 6. Sozialvertrag müsse neu geschlossen werden
Als zentrale Forderung wiederholen beide Experten, dass der Staat seine Schutzpflicht erfüllen müsse: „The social contract between the people and the state must work for the social contract between the people and non-state violent actors to fail.“
## Einordnung
Die Sendung liefert eine professionell recherchierte, vielfältig belegte Reportage, die ohne erhobenen Zeigefinger die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund rückt. Die Journalist:innen lassen sowohl Experten als auch Angehörige zu Wort kommen, verzichten aber auf differenziertere Stimmen – etwa Vertreter:innen der Regierung oder der Sicherheitskräfte – und bleiben so in der kritischen Analyse des Staatsversagens. Die Diskussion vermeidet es, Gewaltakteure zu romantisieren oder zu kriminalisieren, sondern zeigt die komplexe Logik von Überleben und Autorität in prekären Räumen. Besonders bemerkenswert ist die klare Benennung des Bruchs staatlicher Souveränität und die daraus resultierende Fragmentierung von Macht. Die Sendung bietet keine einfachen Lösungen, sondern macht nachvollziehbar, warum Gemeinden unter existenziellen Druck geraten, sich mit Milizen zu arrangieren. Wer einen Einblick in die prekären Sicherheitsrealitäten Nord-Nigerias sucht, erhält hier eine sorgfältig aufbereitete, wenn auch unvollständige, Perspektive.