Dissens: #313 ChatGPT ein Patriarch? Warum es eine feministische Technikkritik braucht
Feministische Technikkritik zum Mitmachen: Diese Podcast-Folge liefert Werkzeuge, um Technologien wie KI oder Care-Roboter aus queer-feministischer Sicht zu hinterfragen.
Dissens
77 min read4037 min audioIm Dissens Podcast spricht Host Lukas Ondreka mit der Technikphilosophin Toni Loh über feministische Perspektiven auf Technik und Technologieentwicklung. Die Episode trägt den Titel „Cyborg-, Techno- oder Xenofeminismus: Wie Feminist:innen auf technologische Entwicklungen blicken“. Die beiden diskutieren, wie unterschiedliche feministische Strömungen – von Donna Haraways Cyborg-Feminismus bis zu aktuellen Xenofeminismus- und Glitchfeminismus-Ansätzen – das Verhältnis von Mensch und Maschine, Technologie und Macht analysieren. Dabei geht es um konkrete Beispiele wie die Antibabypille, Sexroboter, Kampfflugzeug-Cockpits und KI-gestützte Pflegeroboter. Zentral ist die Frage, ob Technologien patriarchale Strukturen reproduzieren oder ob sie feministisch umgestaltet werden können. Loh stellt ein vierstufiges Evaluationsmodell vor, das helfen soll, Technologien aus feministischer Perspektive zu bewerten – etwa im Alltag bei der Nutzung von ChatGPT oder Alexa. Die Sendung wirbt zudem für eine diversere, intersektionale Technikgestaltung und kritisiert die Machtfülle von Tech-Oligarchen wie Elon Musk und Peter Thiel.
### Die Antibabypille als feministisches Zankapfel
Loh zeigt auf, dass die Antibabypille sowohl als feministische Errungenschaft gefeiert als auch als Mittel zur Anpassung von Menschen mit Uterus an patriarchale Arbeitsstrukturen kritisiert wird. Liberale Feminist:innen betonten demnach die gesteigerte Autonomie, während radikale Feminist:innen auf die koloniale und rassistische Geschichte sowie die verstärkte Erwerbsintegration hinwiesen.
### Care-Arbeit und Technologie
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Technologien im Care-Bereich: Pflegeroboter, KI-Apps und Assistenzsysteme. Feministische Positionen würden hier kritisch hinterfragen, inwiefern diese Technologien Autonomie und Verantwortung delegieren, Stereotype reproduzieren oder Daten missbrauchen.
### Feministische Technikphilosophie und ihre Wellen
Die Episode ordnet feministische Technikströmungen in die „Wellen“ der Frauenbewegung ein. Dabei problematisiert Loh, dass klassische Periodisierungen die Vielfalt marginalisierter Subjekte und globale Perspektiven ausblenden. Sie plädiert für eine queere, dekonstruktivistische und postkoloniale Erweiterung feministischer Technikkritik.
### Evaluationshilfe für den Alltag
Am Ende stellt Loh ein praxisnahes Tool vor: einen vierstufigen Fragenkatalog zur feministischen Bewertung von Technologien. Dieser umfasst die Dimensionen „Entwicklung und Gestaltung“, „Verantwortung und Aufgabenbereich“, „Wissen und Sicherheit“ sowie „Kontext und Einsatzbereich“. Damit könne jede Person selbst entscheiden, ob sie etwa ChatGPT nutzen oder auf bestimmte Technologien verzichten möchte.
## Einordnung
Die Episode wirkt wie eine akademische Einführungsvorlesung in feministische Techniktheorie, aber in Podcastform. Lukas Ondreka moderiert sehr vorsichtig und gibt Toni Loh viel Raum für komplexe Ausführungen. Die Tiefe ist beeindruckend – etwa wenn Loh die rassistische Geschichte der Pille oder die Ausbeutung von Trainingsdaten für KI analysiert. Gleichzeitig bleibt alles verständlich, weil stets konkrete Alltagsbeispiele herangezogen werden. Besonders gelungen ist die Brücke von Theorie zu Praxis: Das Evaluationsmodell ermöglicht es, feministische Kritik nicht nur zu diskutieren, sondern direkt anzuwenden. Die Sendung verzichtet auf Polemik und bleibt trotz klarer Kritik an Tech-Kapitalismus sachlich. Wer sich für feministische, postkoloniale oder queere Technikkritik interessiert, erhält hier einen umfassenden und gut verständlichen Einstieg.