Der ZEIT-Podcast „Was jetzt?“ widmet sich in der 35-Jahre-Wiedervereinigung-Folge der Frage, ob eine „unsichtbare Mauer in den Köpfen“ noch besteht. Moderatorin Elise Landschek (DDR-Jahrgang 1982) und Redaktionsleiter Sasan Abdi-Herrle (BRD-Jahrgang 1985) tauschen persönliche Erfahrungen aus Ost und West. Sie erzählen, wie ihnen Begriffe wie „Ossi“ oder „Besserwessi“ zugeschrieben wurden, wie stereotype Bilder in Schulbüchern und Alltagssituationen (z. B. Sonntagsläden, Dialektwahrnehmung) prägten und wie spät – erst mit Studium oder journalistischer Arbeit – bewusst wurde, dass diese Klischees existieren. Die Sendung bleibt weitgehend deskriptiv: Konflikte werden benannt, nicht analysiert; strukturelle Gründe für anhaltende wirtschaftliche Unterschiede (17 % niedrigere Löhne im Osten) werden aus Soziologe Steffen Mau zitiert, aber nicht weiter hinterfragt. Es fehlen Expert:innen aus Wirtschaft, Politik oder Zivilgesellschaft; Expertise reduziert sich auf die beiden journalistischen Protagonist:innen und Sekundärliteratur. ### 1. Identitätszuschreibung von außen Viele Ostdeutsche erfuhren laut Landschek, dass ihnen der Begriff „Ossi“ aufgedrückt wurde – mit der Unterstellung, sie seien „immer unzufrieden“. Landschek sagt: „Ich hatte das Gefühl … wir wurden … zu den Ossis gemacht … ein Stempel aufgedrückt.“ ### 2. Wahrnehmungslücken im Westen Abdi-Herrle berichtet, er sei in einer „westdeutschen Blase“ aufgewachsen; Ostdeutsche seien für ihn lange „die mit dem komischen Dialekt“ gewesen. Erst späte Reisen rissen „Mauern“ in seinem Kopf ein: „Ich war total überrascht … wie schön das ist.“ ### 3. Fortbestehende wirtschaftliche Ungleichheit Zitiert wird das Buch „Ungleich vereint“: Ostdeutsche verdienen durchschnittlich 17 % weniger, Lebenshaltungskosten liegen nur 7 % unter westlichem Niveau; Frauenerwerbsquote und Arbeitslosigkeit nähern sich an, seien aber nicht gleich. ### 4. Kulturelle Annäherung nur selektiv Großstädtische Kulturangebote und Breitbandversorgung seien vergleichbar; strukturelle Aspekte wie Sonntagsöffnungszeiten oder Radverkehrskontrollen spiegeln laut Landschek „andere Alltagsnormen“. ### 5. Selbstbild versus Fremdbild Der Dialog zeigt, dass sich Ostdeutsche oft nicht als „Ossi“ verstehen, während Westdeutsche dieses Etikett automatisch verwenden. Abdi-Herrle konstatiert: „Wenn jemand aus dem Osten kam, der war ein Ossi. Das war ganz klar.“ ## Einordnung Die Folge bleibt in der Bubble subjektiver Anekdoten und verzichtet auf kritische Gegenrede. Expert:innen, Betroffene mit anderen Milieus oder wirtschaftliche Akteur:innen fehlen, wodurch die Komplexität der deutschen Teilungshinterlassenschaft auf Alltagsplaudern reduziert wird. Die Moderation lotet zwar selbstreflexiv Stereotype aus, bietet aber keine analytische Tiefe: Strukturdaten werden zitiert, nicht interpretiert; westdeutsche Privilegien werden benannt, nicht dekonstruiert; die Machtfrage, warum wirtschaftliche und symbolische Ungleichgewichte 35 Jahre fortbestehen, bleibt ungestellt. Der Anspruch „Wir wollen hinterfragen“ wird so zur Selbstinszenierung, weil keine weiteren Perspektiven eingebracht werden. Der Podcast wirkt wie ein persönliches Reise-Tagebuch statt wie ein kritisches Nachrichtenformat – unterhaltsam, aber letztlich selbstreferentiell und ohne erkennbare journalistische Mehrarbeit zur Erklärung anhaltender gesellschaftlicher Spaltungen. Hörempfehlung für Hörer:innen, die sich für geführte Einzelgespräche über Ost-West-Klischees interessieren; wer strukturelle Analysen oder breitere Stimmen sucht, wird kaum befriedigt.