Cameron Abadi und Adam Tooze diskutieren in "Ones and Twos" die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger: Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt. Tooze, selbst Wirtschaftshistoriker, kritisiert Mokyrs Rückbesinnung auf eine klassische, britisch-zentrierte Industriellrevolutionserzählung und dessen konservative Weltsicht; Aghion/Howitts Modell der „kreativen Zerstörung“ wertet er als formal eleganten Versuch, kontinuierliches Wachstum in einer neoklassischen Welt zu erklären. Zentral sei deren Beitrag zur Klima- und Innovationspolitik: nur durch gezielte grüne Technologieförderung plus CO₂-Preis könne Europa seine Innovationsblockaden lösen. Tooze moniert zudem, dass Mokyrs China-Analyse letzte hundert Jahre mit einem „Handwaving“ abtut und damit deren realen Aufstieg kaum erklärt. ### 1. Neo-konservative Geschichtsschreibung im Nobel-Komitee Mokyr vertrete eine Rückbesinnung auf früh-20.-Jahrhundert-Whig-History: britische Aufklärung und wissensorientierte Kultur seien allein ausschlaggebend für nachhaltiges Wachstum gewesen. Tooze: „He’s a neo-conservative … rather the opposite … a reactionary thinker.“ ### 2. „Kreative Zerstörung“ ohne Schumpetersche Apokalypse Aghion/Howitt nutzten Schumpeters Begriff, doch ihr Formalmodell erkläre gerade das Gegenteil: kontinuierliches, zyklusarmes Wachstum durch Oligopol-Wettbewerb in einem „sweet spot“. Tooze betont: „They are using Schumpeterian mechanics to explain a totally non-Schumpeterian outcome.“ ### 3. Doppelinstrument Klima: Technologie-Förderung plus CO₂-Preis Das Duo zeige, dass Pfadabhängigkeit fossiler Technologien eine zusätzliche Marktversagensdimension neben der CO₂-Externalität darstelle. Subventionierte grüne Innovationen würden den Umstieg billiger machen als reine CO₂-Bepreisung. Tooze lobt dies als rationale Grundlage für neue grüne Industriepolitik. ### 4. Europas Innovationsstau liegt an Strukturen, nicht an Kultur Zu wenige jungere, forschungsintensive Großunternehmen und blockierende Altbranchen (Auto) seien das Problem; öffentliche Grundlagenforschung sei längst auf US-Niveau. Aghion/Tirole beziffern private FuE-Investitionen auf „about half the level of the US“. ### 5. Mokyrs China-Erklärung überspringt das 20. Jahrhundert Sein kommender Sammelband greife auf Jahrtausende-Ebene zurück, behandle kommunistische Ära jedoch kaum; moderne Humankapitalbildung bleibt unerklärt. Tooze: „hard to take it seriously as an account of modern China“. ## Einordnung Die Sendung besticht durch klare Differenzierung: Tooze teilt nüchtern mit, welche Teile der Preisarbeit formal brillant, welche ideologisch rückwärtsgewandt sind. Besonders wertvoll ist die Verknüpfung wirtschaftstheoretischer Feinheiten mit aktuellen Policy-Debatten (Green Deal, Europas Wachstumsschwäche). Kritisch bleibt, dass weder Abadi noch Tooze strukturell unterrepräsentierte Stimmen (z.B. heterodoxe Ökonomien aus dem globalen Süden) einladen; die Debatte bleibt Nord-Atlantik-zentriert. Dennoch liefert der Podcast für Nicht-Ökonomen einen kompakten Zugang zu den Nobelpreis-Theorien und ihrer Relevanz für Klima- und Industriepolitik. Hörempfehlung: Wer verstehen will, warum die Nobel-Jury mal wieder konservative Geschichtsbilder und mal innovative Wachstumsmodelle auszeichnet – und wie beides Europa betrifft – findet hier eine kurzweilige, kompetente Analyse.