In der Episode "Derroteros Nummer 105" des spanischen Podcasts *Carne Cruda* beschäftigt sich der Schriftsteller und Philosoph Santiago Alba Rico mit der Frage, was Intelligenz eigentlich bedeutet – und warum Künstliche Intelligenz (KI) möglicherweise nicht wirklich intelligent ist. Im Gespräch mit Moderator Javier Gallego „Crudo“ entwickelt Alba Rico eine philosophische Kritik der KI, die weit über technische Aspekte hinausgeht. Er betont, dass echte Intelligenz immer körperlich, sozial und symbolisch verankert sei – etwas, was KI-Systeme per Definition nicht besitzen. Die Diskussion spannt sich von der Unterscheidung zwischen Intelligenz und Denken über die Gefahren einer sprachlichen und kulturellen Vereinheitlichung durch KI bis hin zu ethischen Fragen bei der Nutzung von KI in Krieg, Medizin und Alltag. Besonders kritisch äußert sich Alba Rico zur Machtkonzentration durch Tech-Konzerne und zur illusionären Selbstwahrnehmung von KI als objektive Wissensmaschine. ### 1. KI ist nicht wirklich intelligent – sie fehlt ihr Körper Alba Rico argumentiert, dass echte Intelligenz nie körperlos existieren könne. KI hingegen operiere ohne Wahrnehmung, Emotion oder soziales Verhältnis – und sei damit eher eine „technische Rechenmaschine“ denn ein Denkmedium. „Una inteligencia sin cuerpo, como la mía, existe en el ámbito digital o virtual... carece de manifestación física.“ ### 2. KI kann nicht fragen – nur antworten Ein zentrales Kritikpunkt: KI generiert Antworten, aber sie stellt keine Fragen. Alba Rico sieht darin einen entscheidenden Unterschied zum menschlichen Denken: „Allí donde la máquina ofrece respuestas, los humanos hacemos preguntas.“ Die Fähigkeit zu fragen, sei aber das Fundament von Kritik, Kreativität und Wandel. ### 3. KI vereinheitlicht Wissen und gefährdet kulturelle Vielfalt Die Dominanz einiger weniger KI-Modelle führe zu einem globalen „Aplanamiento“ des Wissens und der Sprache. Alba Rico zeigt auf, dass längst ein erheblicher Teil der im Netz verfügbaren Inhalte von KI stammt – mit dem Effekt, dass lokale Ausdrücke, Minderheitensprachen und kulturelle Eigenheiten verschwinden. „El 57% de todo el texto de la web... ha sido generado por IA o traducido por algún algoritmo de IA.“ ### 4. KI ist politisch – aber nicht neutral Die Kritik richtet sich auch gegen die Vorstellung, KI sei objektiv. Alba Rico nennt Beispiele wie Deepfights, künstliche Influencer:innen oder die Nutzung von KI für kriegsentscheidende oder ethisch höchst problematische Zwecke – etwa die Erzeugung von synthetischem Kindesmissbrauchsmaterial. „¿Queremos... que la IA siga escribiendo tragedias como Shakespeare por toda la eternidad?“ ### 5. KI zentralisiert Macht und untergräbt Demokratie Ein wiederkehrender Gedanke: Die Kontrolle über KI liegt in den Händen weniger Konzerne und Staaten. Alba Rico verweist auf die These von Günther Anders, dass „todo lo que podemos tecnológicamente hacer... tarde o temprano lo haremos“ – mit fatalen Folgen, wenn ethische Grenzen fehlen. ## Einordnung Der Podcast ist kein technisches Format, sondern ein bewusst langsames, essayistisches Gespräch – mit philosophischem Anspruch und kultureller Kritik. Alba Rico liefert keine einfachen Antworten, sondern lotet aus, was es bedeutet, in einer Zeit zu leben, in der Maschinen Worte produzieren, ohne sie zu verstehen. Die Stärke der Episode liegt in der Verbindung von Sprachphilosophie, Technikkritik und politischer Analyse. Ohne in Verschwörungsdenken abzugleiten, benennt Alba Rico die strukturellen Risiken einer KI-getriebenen Gesellschaft: Entkörperung, Entdemokratisierung, Entmündigung. Dabei bleibt das Gespräch weitgehend frei von rechten Positionierungen oder pseudowissenschaftlichen Behauptungen – es ist vielmehr eine kritische Linke Perspektive auf Technologiefolgen, die sich für Demokratie, Vielfalt und Verantwortung einsetzt. Die journalistische Qualität ist hoch: Es wird argumentiert statt polemisiert, zitiert statt behauptet, und der Anspruch, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen, wird konsequent eingelöst. Für Hörer:innen, die sich für KI jenseits von Hype und Horror-Szenarien interessieren, lohnt sich diese Episode als anregende Denkpause.