Sternstunde Philosophie: Mannsein heute – Zwischen Stärke und toxischer Männlichkeit

Kontroverse Sternstunde über die Krise der Männlichkeit: Zwischen Incel-Radikalisierung und "gekränkten Männern".

Sternstunde Philosophie
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Die SRF-Sternstunde Philosophie fragt in der Wiederholung vom 4. Mai 2025 "Wie geht es den Männern?" Moderatorin Olivia Röllin diskutiert mit Männerpsychologe Markus Theunert ("Jungs, wir schaffen das") und Journalist Tobias Haberl ("Der gekränkte Mann") über die Krise der Männlichkeit, den Frauenhass in der "Manosphäre" und die politische Radikalisierung junger Männer. ### 40% der jungen Schweizer Männer seien laut Studien bereits männlichkeitsideologisch radikalisiert Die Gäste berichten von einer repräsentativen Befragung, die zeige: "Etwa 40 Prozent der jungen Männer bereits männlichkeitsideologisch radikalisiert sind. Also ich meine, das ist eine Riesenzahl." Diese Radikalisierung zeige sich in der Zuneigung zu rechten Parteien und antifeministischen Netzwerken. ### Die "Manosphäre" bietet verunsicherten Jungs einfache Antworten Haberl beschreibt die Szene als "Packages" aus Fitness, Krypto-Investments und frauenfeindlichen Weltanschauungen: "Das ist so wirklich, wir machen dich sozusagen fit, um in dieser schwierigen Welt... dir da deinen Weg zu bahnen." Die Incel-Bewegung und Influencer wie Andrew Tate würden verunsicherten jungen Männern Identitätsangebote machen. ### Männlichkeit sei keine Natur, sondern werde gesellschaftlich erzeugt Theunert betont: "Männlichkeit ist per se krisenhaft... Es ist eine Illusion zu glauben, dass es irgendetwas wie eine eigentliche, urtümliche, richtige Männlichkeit gäbe." Kinder würden schon mit zwei bis drei Jahren lernen, Gefühle zu verstecken, um als "echte Jungs" anerkannt zu werden. ### Der Feminismus habe Männer diffamiert und in Abwehrhaltung gebracht Haberl kritisiert: "Es gab ein Hashtag All Men Are Shit... man kann alles über Männer sagen, aber nichts Gutes." Diese Diffamierung habe viele Männer verschreckt und in die Arme rechter Bewegungen getrieben. ### Junge Männer wählen rechts, junge Frauen links - der Geschlechtergraben wächst Die Gäste verweisen auf Wahlanalysen: "Junge Frauen wählen zunehmend linker und junge Männer rechter... die AfD von jungen Männern überdimensional gewählt." Dies liege an der Angst vor Privilegienverlust und essentialistischen Geschlechterbildern. ### Die Lösung liegt in der Vermittlung von Kompetenzen statt neuer Männlichkeitsnormen Theunert plädiert dafür, Jungen beizubringen: "für sich selbst zu sorgen und nicht reflexhaft auf weibliche Zuwendung zu greifen" sowie "sich in der eigenen privilegierten Position zu hinterfragen." ## Einordnung Die Sendung zeigt eindrücklich, wie sehr sich die Schweizer Debatte um Männlichkeit zuspitzt - zwischen berechtigter feministischer Kritik und der Gefahr, Millionen junger Männer an rechte Rattenfänger zu verlieren. Besonders bemerkenswert: Während Theunert mit wissenschaftlicher Klarheit die gesellschaftliche Konstruktion von Männlichkeit herausarbeitet, konstruiert Haberl ein Narrativ vom "gekränkten Mann", das fast rechtfertigend wirkt. Die Moderation gelingt es nicht wirklich, diese Asymmetrie zu thematisieren. Stattdessen wird eine falsche Balance suggeriert, als seien beide Positionen gleichwertig. Die 40-Prozent-Statistik über radikalisierte junge Männer wird zwar genannt, aber nicht weiter hinterfragt oder in den Kontext rechter Mobilisierung gesetzt. Positiv: Die Sendung macht deutlich, dass es keinen "natürlichen" Weg zur neuen Männlichkeit gibt, sondern nur durch politische Bildung und strukturelle Veränderung. Hörwarnung: Wer fundierte Analysen zur Radikalisierung junger Männer sucht, bekommt hier nur oberflächliche Debatten zwischen zwei Männern, die beide ihre eigene Position verteidigen - ohne die feministische Perspektive wirklich ernst zu nehmen.