Im Podcast "NEU DENKEN" diskutiert Maja Göpel mit dem Wirtschaftsforscher Michael Hüther über Schulden, Investitionen und die deutsche Schuldenbremse. Hüther erklärt, wie Deutschlands historische Angst vor Inflation zu einer irrationalen Ablehnung von Krediten führte – obwohl gerade in Niedrigzinszeiten öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz hätten finanziert werden sollen. Er kritisiert, dass die Schuldenbremse „investitionsblind“ sei und verdeutlicht den Unterschied zwischen konsumptivem Ausgeben und zukunftsfähigen Investitionen. Die Sprechenden bemängeln, dass politische Lager sich in Glaubensfragen versteifen und faktenbasierte Debatten ausbleiben. Sie fordern, über neue Erfolgsindikatoren wie Integrations- statt Abschottungspolitik oder Produktivität statt Bürokratieabbau nachzudenken. Gleichzeitig warnen sie davor, Rüstungsausgaben als „nachhaltig“ zu labeln und plädieren für ein Sondervermögen statt grundgesetzlicher Blanko-Credits für die Bundeswehr. ### 1. Schulden als Investition: Die deutsche Hyperinflation prägt bis heute die Angst vor neuen Krediten, obwohl gerade in Niedrigzinszeiten öffentliche Investitionen hatten finanziert werden sollen. „Wir haben grob gesagt seit Anfang des Jahrtausends sehr viel weniger … für öffentliche Investitionen … ausgegeben, als alle anderen Europäer.“ (Michael Hüther) ### 2. Schuldenbremse blockiert Zukunft: Die Regel blende aus, ob Geld für konsumptive Zwecke oder für Generationen-Projekte wie Klimaschutz und Digitalisierung fließe. „Mit dieser Schuldenbremse, die investitionsblind ist … können wir … die Bundeswehr nicht modernisieren.“ (Michael Hüther) ### 3. Investiv statt konsumtiv: Brücken, Bildung oder Klimaschutz erhöhen das Staatsvermögen, während Munition und Panzer nur Einkommen erzeugen, aber keine volkswirtschaftliche Kapazität schaffen. „Der Panzer … hat keinen Kapazitätseffekt auf die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“ (Michael Hüther) ### 4. Politik als Glaubensgemeinschaft: Ökonom:innen, die Schulden für Investitionen befürworten, würden oft ideologisch attackiert, statt dass Argumente ausgetauscht würden. „Es gibt ja ein schönes Buch ‚Die Ökonomen als Glaubensgemeinschaft‘ … Wir sind keine Glaubensgemeinschaft.“ (Michael Hüther) ### 5. Erfolgsmessung statt Lagerdenken: Integration Geflüchteter oder Produktivitätssteigerung seien bessere Indikatoren als bloße Reduktion von Neuankömmlingen oder Bürokratie-Kosten. „Migrationspolitik messe ich am Erfolg der Integration … nicht an der Reduktion von Flüchtlingsströmen.“ (Michael Hüther) ### 6. Demografischer Zeitdruck: Bis 2045 fehlen rechnerisch zwei Millionen Erwerbstätige; deshalb brauche es offene Debatten über Zuwanderung, Produktivität und CO₂-Preise statt blockierender Lager-Logik. „Wir haben keine Zeit und wir können uns keine Umwege erlauben, sondern wir können nur kluge Diskussionen führen.“ (Michael Hüther) ## Einordnung Der Podcast zeigt, wie unterhaltsam und zugleich aufklärend Wirtschaftspolitik sein kann, wenn sich Expert:innen die Mühe machen, komplexe Zusammenhänge in Analogien zu übersetzen: vom Hausbau bis zur Brücken-Finanzierung. Besonders wertvoll ist, dass hier ein früher Verfechter der Schuldenbremse live seine Meinung revidiert und dadurch Modell lernbar macht. Die Diskussionskultur bleibt respektvoll, faktenzentriert und differenziert; ideologische Lagerdenken werden durch konkrete Beispiele entlarvt. Allerdings bleibt die Perspektive klar auf westliche Industrieländer fokussiert; Schulden- und Investitionsrealitäten des globalen Südens oder die Macht asymmetrischer Währungssysteme bleiben unerwähnt. Auch fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, warum Rüstungsfirmen plötzlich mit „Nachhaltigkeit“ gelabelt werden dürfen, ohne dass dies als strukturelle Machtverschiebung benannt wird. Insgesamt liefert die Episode eine willkommene Anleitung zum Umdenken: Investitionen in Klima, Bildung und Soziales sind keine Gefahr, sondern Voraussetzung für zukunftsfähiges Wirtschaften. Klare Empfehlung für alle, die sich für ökonomische Sachpolitik jenseits von Schwarz-Weiß-Malerei interessieren. Hörempfehlung: Unbedingt anhören, wenn du verstehen willst, warum Deutschlands Haushaltspolitik seit Jahrzehnten auf veralteten Angstreflexen basiert – und wie wir mit konstruktiver Schuldenpolitik Zukunft finanzieren könnten.