Das Thema: Greta - Die Geschichte einer Eskalation
SZ-Doku-Podcast über Greta Thunbergs Wandel vom Klima- zum Gaza-Aktivismus und die gesellschaftliche Polarisierung seit 2023.
Das Thema
54 min read3234 min audioVera Schröder begleitet Greta Thunberg sieben Jahre nach ihrem Schulstreik erneut – diesmal mit Fokus auf deren Wandel vom Klima- zum Nahost-Aktivismus. Die 80-minütige Doku-Podcast-Premiere mischt persönliche Nahaufnahmen (Schröder trifft Thunberg zufällig auf der Toilette, begleitet sie auf pro-palästinensischen Veranstaltungen) mit klassischer Reporter:innen-Distanz. Thunberg wirft deutschen Medien und der FFF-Deutschland-Spitze vor, sie wegen Israel-Kritik zu kaltzustellen; gleichzeitig berichtet Schröder, wie schwer geworden ist, in der deutschen Debattenlandschaft zwischen Antisemitismus-Vorwurf, Faktencheck und emotionaler Betroffenheit noch differenziert zu bleiben. Der Podcast spiegelt dieses Dilemma: Er thematisiert die Polarisierung, ohne sie inhaltlich aufzulösen, und setzt stattdessen auf starke Bilder (Frosch-Hut auf dem Gaza-Schiff, „Antichrist“-Zitat Peter Thiels) sowie auf die Selbstreflexion der Autorin, die offen einräumt, ihr eigenes Klima-Engagement nachzulassen. Die Erzählweise bleibt durchweg subjektiv-kollektiv („fast mütterliche Sorge“), was dem Stoff emotionale Nähe, aber kaum analytische Klarheit verschafft.
### 1. Bruch mit Fridays for Future Deutschland
Thunberg habe alle Kontakte zur deutschen Bewegung abgebrochen, nachdem diese sich öffentlich von ihr distanziert habe, weil sie „Bombern, Apartheid und Besetzung“ verurteile. Dabei sei es dieselben Leute, die ihr früher vorwarfen, „von einer geheimen jüdischen Elite gesteuert“ zu werden, nun aber Antisemitismus gegen sie instrumentalisierten. (Zitat: „overnight said she’s an anti-Semite … there is absolutely no logic“)
### 2. Medien und Veranstalter:innen zensieren Israel-Kritik
Die Aktivistin berichtet, sie werde eingeladen, dürfe aber „nicht über Politik“ sprechen; Klima und Menschenrechte würden als „zu kontrovers“ deklariert. Für sie stehe dahinter ein systematisches „Silencing“ und Einschüchterungsmuster. (Zitat: „they would say, okay, you can talk but you cannot talk about politics“)
### 3. Persönliche Eskalation statt kollektiver Klimadiskurs
Die Erzählung zeigt, wie sehr sich der öffentliche Blick seit 2023 auf den Nahostkonflikt verengt habe. Fridays-for-Future-Demos sehen kaum noch jemand; stattdessen diskutiere man über Thunbergs Festnahme auf dem Gaza-Schiff. Diese Verschiebung spiegelt eine gesellschaftliche „Ermüdung“ beim Klimaschutz.
### 4. Autorin zwischen Betroffenheit und Rollenverwirrung
Vera Schröder schildert ihre eigene journalistische Hilflosigkeit: Sie kauft sich eine Ticket-Karte, traut sich aber nicht, auf dem Podium zu fragen, und empfindet den Verdacht, „Journalist:innen“ würden als Feindbild gesehen. Der Text offenbart damit die Schwierigkeit, in hochpolarisierten Räumen noch professionelle Distanz zu wahren.
### 5. Neurodiversität als politische „Superkraft“
Thunberg nutzt ihre Autismus-Diagnose bewusst rhetorisch: Weil sie „sozialen Codes“ weniger folge, könne sie „outside the box“ denken und sich gegen Widerstand entschlossen für Klima und Menschenrechte einsetzen. (Zitat: „I don’t really care about social codes … it can definitely be an advantage“)
### 6. Klima bleibt Fakt, politische Handlungsfähigkeit schwindet
Trotz aller Nahost-Themen wiederholt der Podcast die wissenschaftliche Dringlichkeit: CO₂-Konzentration auf dem höchsten Stand seit 15 Millionen Jahren, Hitzewellen, Wassermangel. Die Diskrepanz zwischen Fakten und fehlendem gesellschaftlichen Druck bildet den unterschwelligen roten Faden.
## Einordnung
Der Podcast steht exemplarisch für den deutschen Diskurszwang, zwischen „Staatsfreundschaft“ mit Israel und palästinensischen Menschenrechten eine vermeintlich binäre Linie zu ziehen. Statt diese Linie aufzubrechen, reproduziert die Folie sie: Thunberg wird zur Projektionsfläche, Klima- und Nahost-Themen werden gegeneinander ausgespielt. Schröder inszeniert sich als irritierte, fast betroffen-heile Beobachterin, liefert aber kaum Hintergründe zu internationalen Völkerrechtsgutachten, zur deutschen Israel-Politik oder zu den internen FFF-Eskalationen. Die Erzählweise bleibt stark gefühlszentriert („fast mütterliche Sorge“), wodurch komplexe Machtverhältnisse (Besatzung, Apartheid-Vorwurf, Antisemitismus-Keule) verkürzt auf Individualpsychologie reduziert werden. Gleichzeitig offenbart der Text die Medienlogik, die Teil der Polarisierung ist: Journalist:innen würden nur dann wahrgenommen, wenn sie sich inszenieren oder beschimpfen lassen; differenzierte Berichterstattung tritt zurück. Für Hörer:innen, die eine analytische Auseinandersetzung mit den strukturellen Verschärfungen seit 2023 erwarten, bietet die Episode emotionalen Zugang, aber wenig neue Erkenntnisse über die politischen Bruchlinien innerhalb der Klimabewegung oder der deutschen Nahost-Debatte.
Hörwarnung: Wer eine sachliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen von Antisemitismus gegen Thunberg oder den Gründen für die Spaltung der Klimabewegung sucht, wird hier mit Betroffenheits-Storytelling statt mit faktenbasierter Analyse bedient.