Der zweite Teil der Doppelfolge des Wirtschaftspodcasts „Armutszeugnis“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung setzt die Analyse des Zusammenhangs von ökonomischer Krise und dem Erstarken rechter Parteien fort. Eva Völpel und Sabine Nuss diskutieren mit Blick auf Wilhelm Heitmeyers Langzeitstudien zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, dass rechte Ideologien nicht erst durch Sparkürzen oder Krisen entstünden, sondern tief in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt seien. Heitmeyers Begriff des „gesellschaftlichen Vorrats“ rechtsautoritärer Denkmuster wird mit dem „autoritären Kapitalismus“ verknüpft: Globalisierung, Standortkonkurrenz und Sozialabbau würden Menschen verunsichern, sodass sie nach scheinbar festen Identitätsankern wie Nation, „Leistung“ oder Familie greifen. Die Moderatorinnen zeigen anhand der „Mittestudie“, dass besonders Menschen, die neoliberale Wettbewerbslogik verinnerlicht und trotzdem von ökonomischer Unsicherheit betroffen sind („entsichert marktförmig“), für rechte Populismen empfänglich seien. Sie kritisieren, dass etablierte Parteien dieselben ökonomischen Nutzenkriterien bei Migrationsfragen übernehmen und so rechte Positionen legitimieren. Die Folge endet mit der Einsicht, dass linke Solidaritätsprojekte erstarken müssten, um eine alternative Krisenbearbeitung jenseits von autoritärer Abwertung anzubieten. ### 1. Rechte Ideologien seien längst in der Mitte verankert Heitmeyers Langzeitforschung zeige, dass menschenfeindliche Einstellungen seit den 1980er-Jahren in allen Schichten nachweisbar seien – lange bevor die AfD existiere. Das rechte Denken nutze lediglich einen „gesellschaftlichen Vorrat“, der durch soziale Desintegration sichtbar werde. ### 2. „Entsichert marktförmige“ Subjekte als Wähler:innenpotential Laut Mittestudie hätten rund 20 % der Bevölkerung das neoliberale Leistungsprinzip verinnerlicht, gleichzeitig aber Statusverlust erfahren. Diese Gruppe neige zu autoritären und menschenfeindlichen Positionen, weil sie enttäuschtes Selbstwertgefühl durch Abwertung anderer kompensiere. ### 3. AfD und bürgerliche Mitte teilen ökonomische Nutzenlogik Die Unterscheidung zwischen „nützlichen“ und „nicht nützlichen“ Migrant:innen werde nicht nur von der AfD, sondern auch von CDU, FDP und Teilen der SPD übernommen. Damit verschwimme die Grenze zwischen rechter und bürgerlicher Position, was die Brandmauer zur AfD unterlaufe. ### 4. Kapitalistische Eigentumsfreiheit verschleiere Ausbeutungsverhältnisse Da die meisten Menschen Eigentumslos seien und glaubten, durch Arbeit Besitz aufbauen zu können, würden sie strukturelle Ursachen von Krise nicht erkennen. Stattdessen würden sie soziale Absteiger:innen oder Migrant:innen als Konkurrent:innen um knappe Ressourcen wahrnehmen – ein Mechanismus, der rechte Projektionen nährle. ### 5. Strategien gegen Rechts müssten über Sozialreform hinausgehen Rein ökonomische Korrekture wie Vermögenssteuer oder Ausbau der Daseinsvorsorge seien notwendig, aber nicht hinreichend. Es brauche eine gesellschaftliche Debatte über die Grundstrukturen des Kapitalismus und eine starke internationale Solidaritätsbewegung, um alternatives Krisenhandeln sichtbar zu machen. ## Einordnung Der Podcast liefert eine anschlussfähige, theoretisch fundierte Gesellschaftsanalyse, die weit über die gängige „Wirtschaftspodcast“-Ebene hinausgeht. Die Moderatorinnen schaffen es, komplexe Konzepte wie Heitmeyers gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder marxistische Ausbeutungstheorie in verständliche Alltagsbeispiele zu übersetzen, ohne dabei in Belanglosigkeit abzurutschen. Besonders wertvoll ist die Selbstreflexion linker Politik: Es werde nicht nur der „verlassene“ Arbeiter:innen-Stamm thematisiert, sondern auch die Defizite linker Kommunikation, etwa das unklare Bild vom „wahren“ Kapitalismus. Die Sendung verzichtet auf billige Polemik, etwa wenn sie zeigt, dass marktradikale Positionen nicht nur bei der AfD, sondern auch in der bürgerlichen Mitte verankert sind. Kritisch anzumerken ist, dass die Gäste keine Gegenstimmen zu Wort kommen lassen; die Folge bleibt damit innerhalb eines linken Deutungsrahmens. Dennoch bietet sie eine klare Hör:innen-Empfehlung für alle, die verstehen wollen, warum autoritäre Populismen gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten auf fruchtbaren Boden fallen – und wie tief die gesellschaftlichen Ursachen sitzen.