Die Filmanalyse: Ep. 245: Kritik der Polizei: FRENCH CONNECTION - BRENNPUNKT BROOKLYN - Kritik & Analyse
Ideologiekritische Filmanalyse von Wolfgang M. Schmitt zu „French Connection“ und die Frage, warum der Klassiker heute als düstere Warnung vor unbegrenzter Polizeigewalt wirkt.
Die Filmanalyse
16 min read1117 min audioWolfgang M. Schmitt jun. analysiert in dieser Episode William Friedkins Klassiker „French Connection“ (1971) als ideologiekritische Polizeistudie. Er zeigt, wie der Film das moderne Actionkino prägte und zugleich die undemokratischen Seiten exekutiver Gewalt entlarvt. Hauptthese: Der Detektiv Jimmy „Popeye“ Doyle verkörpere keine heroische Ordnungsfigur, sondern einen zynischen, rassistischen und machtversessenen Beamten, der sich im Ausnahmezustand bewegt und Recht und Gewalt willkürlich vermischt. Durch ständige Grenzüberschreitungen, exzessive Gewalt und mangelnde Rechenschaftspflicht offenbare der Film die systemische Problematik von Polizei in liberalen Demokratien. Schmitt betont, Friedkin inszeniere dies nicht als rechtes „Law-and-Order“-Kino, sondern als düsteren Fatalismus, der zum Nachdenken über Macht, Kontrolle und den Drogenkrieg animiere.
### 1. Der Polizist als Antiheld im Ausnahmezustand
Schmitt beschreibt Detective Doyle als „jähzornig und rassistisch“, der „besessen ist von seinem Job“ und dabei Opfer seiner eigenen Begierden wird. Das Zitat „Doyle wird hier Opfer seines eigenen Begehrens“ verdeutlicht die Selbstzerstörung der Figur. Im Gegensatz zu glamourösen Drogenhändlern sei er ein „verwahrloster“ Exponent einer Gesellschaft, die selbst Abschaum produziert. Der Film zeige, dass Polizist:innen sich im rechtsfreien Raum bewegen und das Gesetz nach eigenem Gutdünken interpretieren.
### 2. Polizei als souveräne Macht jenseits des Rechts
Unter Berufung auf Giorgio Agamben heißt es, die Polizei operiere „immer in einem solchen Ausnahmezustand“, in dem „kein Unterschied zwischen Gewalt und Recht besteht“. Der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl zufolge nutze sie bewusst Gesetzeslücken, um eigene Strategien durchzusetzen. Die berühmte Straßenbahn-Verfolgungsjagd illustriere, wie exekutive Gewalt „sich verselbständigt“, Unbeteiligte gefährdet und selbst höchstrichterliche Korrekturen nicht verhindern könnten.
### 3. Kritik an den Verhältnissen statt an Einzeltätern
Schmitt betont, der Film plädiere „keineswegs für eine rechte Law and Order Politik“. Stattdessen werde eine „Deutungsoffenheit“ geschaffen, die zur Reflexion über die Rolle der Polizei in Demokratien anrege. Doyle sei „Opfer und Täter zugleich“ in einer Gesellschaft, die „nur noch Symptombekämpfung“ ermögliche. Der Drogenhandel erscheine als „finsterer Ausdruck von privatwirtschaftlicher Macht und Globalisierung“, während Korruption das politische Pendant bilde.
### 4. Formale Mittel der Demontage
Die Kameraführung Owen Roizmans suche gezielt den „Gestank“ Brooklyns, verzichte auf urbane Klischees und montiere „Wirklichkeitssplitter“ ein. Die ruppige Montage, das lange Zögern bis zur Klarung der Handlungsfäden sowie die Verweigerung eines Off-Erzählers würden Zuschauer:innen nicht „wie ein kleines Kind“ anführen, sondern die Komplexität und Undurchsichtigkeit der polizeilichen Realität abbilden.
### 5. Kontinuität bei Friedkin: Grenzüberschreitung als Thema
Schmitt verortet French Connection in einem Triptychon mit „Cruising“ (1980) und „Leben und Sterben in L.A.“ (1985), in denen Friedkin jeweils Polizist:innen zeige, die „Grenzen überschreiten“ und „selbst Verbrecher werden“ wollen, um Täter:innen zu fassen. Diese Werke seien „durchdrungen von einem großen Fatalismus“, ohne heroische Akteure. Besonders „Cruising“ werde falschlicherweise als schwulenfeindlich gelesen, sei in Wahrheit ein „Meisterwerk des Queer Cinema".
## Einordnung
Wolfgang M. Schmitt liefert eine intensive, theoretisch fundierte Filmanalyse, die weit über klassische Rezensionen hinausgeht. Durch kontinuierliche Verbindung von Filmszenen und philosophischen Texten entsteht eine stringente Argumentation, die den Zuschauer zur kritischen Auseinandersetzung mit Polizeigewalt anregt. Besonders gelungen ist die Einbettung in das Œuvre Friedkins und die Aktualisierung durch Referenzen zu „I Care a Lot" sowie gegenwärtiger Großstadtdynamik. Die Episode zeugt von profunder Recherche und filmischem Sachverstand, ohne sich in akademischem Fachjargon zu verlieren. Kritisch anzumerken ist, dass alternative Polizeibilder oder reformerische Ansätze in der Debatte fehlen; die Analyse bleibt auf dem (zugegeben berechtigten) Kritikmodus fixiert. Dennoch bietet sie eine ideologiekritische Lektüre, wie sie in der deutschen Podcast-Landschaft selten ist, und versteht sich als explizite Gegenposition zur rechten Law-and-Order-Ästhetik.
Hörempfehlung: Unbedingt anhören, wenn ihr sehen wollt, wie ein Filmklassiker rückblickend als Fundament für zeitgemäße Polizeikritik gelesen werden kann.