Der 45-minütige ARD-Podcast „Dr. Ketamin – Das System“ begleitet Kathi, die seit Jahren an schweren Depressionen leidet und sich nach jahrelanger Antidepressiva-Behandlung 2024 erstmals dem Esketamin-Nasenspray Spravato unterzieht. Die Folge zeichnet Kathis persönlichen Leidensweg, ihre massiven Nebenwirkungen und den Hintergrund: warum das seit 2021 zugelassene, von Johnson & Johnson patentierte Nasenspray trotz höherer Kosten und stärkerer Nebenwirkungen existiert, während das günstigere, patentfreie Ketamin-Infusionsverfahren mangels Industrieinteresse kaum zugelassen wird. Interviewpartner:innen sind der Leitlinienexperte Tom Bschor (Bundesgesundheitsministerium), der niedergelassene Psychedelikatherapeut Mario Scheib sowie die Psychotherapeutin Evelyn, die sich mit privater Ketamin-Assistierte-Psychotherapie selbstständig machen will. Der Podcast deckt auf, dass alle großen Studien zum Nasenspray vom Hersteller finanziert wurden, unabhängige Meta-Analysen das klassische Ketamin besser bewerten und die Kombination mit Psychotherapie bisher kaum erforscht ist. Parallel zeigt die Geschichte von Matthew Perry, der sich illegal hohe Ketamin-Dosen spritzte und ertrank, mögliche Gefahren auf. Die journalistische Recherche wirft ein Schlaglicht auf das Spannungsfeld zwischen evidenzbasierter Medizin, Wirtschaftsinteressen und Behandlungsrealität für therapieresistente Depressionen. ### Ketamin als letzte Hoffnung bei therapieresistenten Depressionen Kathi berichtet, sie habe nach Jahren erfolgloser Antidepressiva-Behandlung in ihrer schwersten Krise mit täglichen Suizidgedanken schließlich zugestimmt, das zugelassene Esketamin-Nasenspray Spravato auszuprobieren. Sie habe gehofft, „alles, was hilft“, auszutesten, wobei sie sich nach eigener Aussage bewusst geringe Erwartungen gesetzt habe. ### Starke Nebenwirkungen ohne spürbare Besserung Nach der ersten Behandlung habe Kathi „extreme Kopfschmerzen“, Schwindel, Sprachstörungen und Übelkeit entwickelt; positive antidepressive Effekte seien ausgeblieben. Auch nach der Dosiserhöhung habe sie lediglich einmal kurz geweint, danach aber weiterhin nur geleidet und die Behandlung schließlich abgebrochen. ### Antidepressiva nur für etwa die Hälfte der Patient:innen wirksam Tom Bschor erklärt, nur ungefähr jede zweite Person spreche auf Antidepressiva an, die Wirkung stelle sich erst nach Wochen ein und viele Betroffene behielten belastende Restsymptome. Die Schwierigkeit, die Medikamente wieder abzusetzen, führe dazu, dass viele Menschen sie über Jahre nehmen und so Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Gewichtszunahme oder Libidoverlust dauerhaft erdulden müssten. ### Patentstrategien begünstigen teures Nasenspray Bschor vermutet, der Hauptgrund für die Entwicklung von Esketamin liege darin, ein neues Patent zu erhalten, da das ursprüngliche Ketamin seit 1969 nicht mehr patentgeschützt sei. Weil kostspielige Zulassungsstudien für eine nicht geschützte Substanz kaum investiert würden, sei es unwahrscheinlich, dass klassisches Ketamin offiziell für Depressionsbehandlungen zugelassen wird. ### Intravenöses Ketamin wirkt laut unabhängigen Studien besser Eine Metaanalyse, die 2023 im Fachjournal „The Lancet“ erschien, habe gezeigt, dass intravenös oder intramuskulär verabreichtes Ketamin deutlich stärker die Depressionssymptome lindere als das zugelassene Nasenspray. Mario Scheib kritisiert, das Nasenspray löse bei etwa 30 % Schwindel und Übelkeit aus und erschwere damit eine begleitende Psychotherapie, während bei seinen Infusionen weniger als 4 % dieser starken Nebenwirkungen aufträten. ## Einordnung Die Episode arbeitet aufwändig recherchiert und erzählerisch stark auf: persönliche Schicksale, wissenschaftliche Bewertungen und wirtschaftliche Interessen werden ineinander verwoben und stellen die Frage, warum in Deutschland ein teures, patentiertes Nasenspray Kassenleistung ist, während das offenbar wirksamere, günstigere Infusionsverfahren kaum zugänglich ist. Die Machart überzeugt durch differenzierte Expert:inneninterviews (u. a. Bundesressort, Praxisärzt:in, unabhängige Therapeutin), direkte Betroffene und ein akribisches Factchecking; mögliche Limitationen (z. B. fehlende Langzeitdaten, Unsicherheiten zur Dosisabhängigkeit von Nebenwirkungen) werden transparent benannt. Die Kritik richtet sich nicht gegen Ketamin als Therapieoption, sondern gegen die Strukturen, die Zugang, Preis und Evidenzlage prägen. Wer über neue Behandlungswege für therapieresistente Depressionen informiert und zugleich die Defizite des Gesundheitsmarktes verstehen will, erhält hier eine klare, aber nicht sensationistische Analyse. Hörempfehlung: Ja – eine aufschlussreiche, empathische und investigativ gute Folge, die ohne Polemik Lücken im deutschen Versorgungssystem offenlegt.