Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast: Kaum sichtbar - Migranten in den Medien
Zwei Expertinnen analysieren, warum deutsche Medien trotz 30% Bevölkerung mit Migrationshintergrund weiterhin Fremd- statt Selbstbilder produzieren.
Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast
40 min read2313 min audioDer Podcast "Nach Redaktionsschluss" widmet sich der Frage, warum in deutschen Medien weiterhin mehr über Migrant:innen gesprochen wird als mit ihnen. Brigitte Baetz führt die Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg (FU Berlin) und die Journalistin sowie Vorsitzende des Netzwerks Neue Deutsche Organisationen, Sheila Mysorkar, durch die Diskussion.
### 1 Die medial konstruierte Fremdheit
Lünenborg beschreibt, wie Migrantinnen in der Berichterstattung entweder als bedrohliche Männer oder als schutzbedürftige Frauen dargestellt würden: "Die Migrantin ist nicht bedrohlich, sondern ist schutzbedürftig. Sie braucht den Schutz der deutschen Gesellschaft vor ihrer eigenen Community." Dieses Narrativ würde die Selbstständigkeit als westliches Attribut definieren und die Migrantin als passives Objekt positionieren.
### 2 Strukturelle Ausgrenzung trotz formaler Integration
Mysorkar betont, dass 30,4 Prozent der Bevölkerung Migrationsgeschichte hätten, doch diese Normalität werde medial nicht anerkannt: "Ich bin es wirklich leid [...] wie lange sollen wir hier noch den Ausländer spielen?" Sie kritisiert, dass Redaktionen sich lieber mit AfD-Positionen beschäftigten als mit den Sorgen der größeren Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund.
### 3 Das Versagen bei sicherheitsrelevanten Themen
Beide Gäste monieren, wie Warnungen des Verfassungsschutzes vor Gefahren für Migrant:innen, Linke und Homosexuelle kaum mediale Aufmerksamkeit erhielten. Mysorkar vergleicht die Berichterstattung mit einer "Meldung über verkaufte Kühlschränke" und fragt: "warum rennen alle Medienschaffenden [...] hinter diesen AfD-Leuten her und deren Themen?"
### 4 Die Notwendigkeit struktureller Veränderung
Lünenborg fordert, Diversität müsse als Qualitätskriterium in redaktionellen Abläufen verankert werden: "Es bräuchte Manifeste, Verpflichtungen". Die gegenwärtige Praxis, nur "guten Willen" zu erklären, reiche nicht aus. Mysorkar ergänzt, es gehe nicht nur um sichtbare Positionen vor der Kamera, sondern um die Zusammensetzung der Redaktionen und Zugang zu verschiedenen Communities.
### 5 Die Gefahr der Medienabwendung
Die Gäste warnen vor einer zunehmenden Entkopplung ganzer Bevölkerungsgruppen von etablierten Medien. Mysorkar berichtet, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund öffentlich-rechtliche Talkshows nicht mehr konsumierten, weil sie sich dort nicht repräsentiert sähen und stattdessen alternative deutschsprachige Medien nutzten.
## Einordnung
Die Episode zeigt eine professionelle journalistische Auseinandersetzung mit strukturellen Defiziten in der deutschen Medienlandschaft. Die Expertinnen liefern fundierte Analysen und persönliche Erfahrungen ohne zu pauschalisieren. Besonders bemerkenswert ist die klare Positionierung gegen rechtspopulistische Diskurse und die Forderung nach einem menschenrechtsbasierten Journalismus. Die Diskussion vermeidet das Problem der Selbstexotisierung und betont, dass Diversität nicht nur für Migrationsberichterstattung, sondern für die Gesamtabdeckung der Gesellschaft notwendig sei. Die Sendung gelingt es, komplexe strukturelle Probleme verständlich zu vermitteln und konkrete Lösungsansätze aufzuzeigen. Hörempfehlung für alle, die sich für Medienkritik und strukturellen Rassismus in Journalismus interessieren.