In dieser Folge von "Stahl aber herzlich" setzt Psychotherapeutin Stefanie Stahl das Gespräch mit Marie fort, der Mutter von Anna, die bereits in einer vorherigen Episode über ihre schwierige Beziehung zu ihrer Mutter berichtete. Marie schildert nun ihre eigene Perspektive: Sie sei 69 Jahre alt, habe Brustkrebs überstanden und ihre einzige Tochter Anna allein großgezogen. Marie berichtet, dass sie oft nicht verstehe, warum Anna so empfindlich auf "Kleinigkeiten" reagiere. Sie habe sich bemüht, alles besser zu machen als ihre eigenen Eltern, doch sie selbst sei in einer lieblosen, gefühlskontrollierenden Kindheit aufgewachsen, habe nie gelernt, mit Gefühlen umzugehen und bis heute keinen Zugang zu sich selbst. Stahl stellt fest, Marie habe nie therapeutische Hilfe gesucht, weil sie bis vor Kurzem nicht wusste, dass sie emotional nicht begleitet wurde, und weil Psychotherapie in ihrer Generation kein Thema war. Stahl erklärt, dass Anna sich als Kind unverstanden fühlte, weil Marie aufgrund eigener Verletzungen kaum empathisch auf Gefühle reagieren konnte. Sie empfiehlt Marie, trotz ihres Alters wieder psychotherapeutische Begleitung aufzunehmen, damit sie ihre Geschichte aufarbeitet, sich selbst annimmt und mit Anna ins Gespräch findet. Die Episode endet mit der Ankündigung eines gemeinsamen Gesprächs zwischen Mutter und Tochter, moderiert von Stahl, mit dem Ziel der Versöhnung. ### Marie habe keine emotionale Landkarte, weil sie selbst nie begleitet wurde Marie beschreibe, dass sie "gar keinen" Zugang zu ihren Gefühlen habe: "Ich kann mich selbst nicht annehmen." Sie habe nie gelernt, Gefühle zu benennen oder sich selbst mit Mitgefühl zu betrachten. Diese Selbstwahrnehmung ist laut Stahl zentral, weil ohne sie emotionale Resonanz für ein Kind kaum möglich sei. ### Anna reagiere auf scheinbar kleine Auslöser, weil alte Wunden offen seien Marie berichte, Anna werde schnell wütend, wenn sie per WhatsApp Kritik äußere, selbst wenn es sich um "Nichtigkeiten" handele. Stahl erkläre, Anna trage ein "Schattenkind" mit sich, das bei kleinen Anlässen durch scheinbar überzogene Reaktionen aufflame: "Ich vermute, dass du heute öfter überreagierst, bei kleinen Situationen." ### Die Mutter habe sich auf der Pflegeebene Mühe gegeben, aber Gefühle übersehen Marie erzähle, sie habe Anna schulisch gefördert, Teilzeit gearbeitet, sei für Hundeaufsicht und Urlaubsplanung da. Stahl stelle fest, Marie habe sich materiell stark engagiert, doch habe sie Schwierigkeiten, Annas emotionale Signale zu lesen, weil sie ihre eigenen Gefühle verdränge: "Du hast da so ein kleines blindes Fleck." ### Marie übernehme langsam Verantwortung für die emotionale Distanz Am Ende zeige Marie Reflexionsreife: "Vielleicht, weil ich mich selbst nicht annehmen kann... habe ich meine Tochter doch irgendwo vernachlässigt." Sie spreche nicht mehr nur von äußeren Belastungen (Krebs, Tod des Mannes), sondern erkenne, dass ihre eigene emotionale Abkapselung die Beziehung präge: "Ich konnte es nicht besser." ### Die Generation über 70 habe Psychotherapie als Tabu erlebt Marie berichte, sie habe als Kind keine Unterstützung bekommen, weil "meine Mutter mich nie zu einem Arzt geführt hätte". Erst nach ihrer Krebserkrankung habe sie mit einer Psychologin gesprochen, doch bis dahin habe sie ihr Leben lang "alles in mich hineingefressen", weil Psychotherapie in ihrer Kohorte gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. ## Einordnung Der Podcast nutzt das klassische Talk-Format mit prominenter Gastgeberin und realen Klient:innen, wodurch hohe Aufmerksamkeit entsteht. Die Stärke liegt in der verständlichen Vermittlung psychologischer Zusammenhänge: Stahl erklärt anschaulich, wie unverarbeitete eigene Verletzungen die Eltern-Kind-Beziehung belasten können, ohne Marie zu beschuldigen. Die Sendung gelingt ein sensibles Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Voyeurismus. Kritisch bleibt, dass keine weiteren Perspektiven (z. B. Väter, Geschwister) einbezogen werden und individuelle Lösungswege als allgemeingültig wirken. Zudem wird der Blick auf strukturelle Faktoren (Generationenvertrag, Gesundheitssystem) weitgehend ausgeblendet; die Verantwortung für gelungene Beziehung liegt fast ausschließlich bei der emotionalen Selbstarbeit der Mutter. Die Episode bietet Betroffenen Mut zur Reflexion, kann aber Betroffene ohne therapeutische Begleitung überfordern, wenn sie glauben, durch Selbsthilfe allein dieselben Erkenntnisse erreichen zu müssen. Hörempfehlung: Ja – wenn du dich für emotionale Familiendynamiken interessierst und bereit bist, über deine eigene Rolle in Beziehungen nachzudenken, liefert die Folge wertvolle Einblicke und konkrete Hinweise zur Selbstfürsorge.