POLITICO Berlin Playbook: Ein Spaziergang mit Annalena Baerbock durch New York
Journalistisch anspruchsvoller UN-Rundgang mit Annalena Baerbock über Reformbedarf, Machtspiele und die Chancen der Multilateralismus.
POLITICO Berlin Playbook
74 min read3592 min audioIm POLITICO-Podcast „Berlin Playbook“ begleitet Gordon Repinski die frisch gehandelte Präsidentin der UN-Generalversammlung, Annalena Baerbock, auf einem Spaziergang durch das UN-Hauptquartier in New York. Das Format misst sich journalistischen Anspruch: Repinski lotet mit konkreten, oft kritischen Nachfragen die Spielräume und Begrenzungen der multilateralen Diplomatie aus, ohne dabei in Boulevard-Ästhetik abzurutschen. Baerbock wirbt für Reformen in der Organisation, spricht offen über Blockaden durch Vetomächte, fehlende Frauen in Führungspositionen und die Notwendigkeit, die UN trotz Mängeln nicht als obsolet abzuschreiben. Dabei bleibt sie souverän, gibt persönliche Einblicke – etwa zu Social-Media-Kritik oder High-Heels-Shitstorms – und betont die Bedeutung diplomatischer Beharrlichkeit in Krisenzeiten. Die Gesprächsführung ist durchdacht: Repinski beleuchtet sowohl strukturelle Machtfragen als auch individuelle Erfahrungen, ohne hagiografisch zu werden. Kritische Töne dominieren, während extreme Positionen fehlen; rechte oder esoterische Narrative sind nicht erkennbar. Die Folge liefert einen informativen Einblick in UN-Alltag und Reformdruck, ohne einfache Lösungen zu versprechen.
### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt
Baerbock schildert, dass Vetomächte wie Russland zwar formell das Völkerrecht brechen, die Charta aber weiterhin Bestand habe: „Dann hat ein Land sich nicht an die Regeln gehalten.“ Die UN sei gefordert, Regelverletzer zu benennen, selbst wenn Sanktionen im Sicherheitsrat blockiert seien.
### Die Weltorganisation befinde sich an einer Weggabelung
Die Präsidentin beschreibe die Lage mit den Worten „We are at the crossroads“: Entweder gelinge es, Reformen anzustoßen, oder autoritär-kraftvolle Akteure würden die Lücke nutzen. Die Folge zeige, dass dieses Dilemma weder bagatellisiert noch als aussichtslos dargestellt werde.
### Frauen blieben in 80 Jahren Systematik unterrepräsentiert
Baerbock konstatiert, dass sie erst die fünfte Präsidentin der Generalversammlung sei: „Eine Organisation, die für Frauenrechte einsteht … es noch nicht geschafft hat, eine Frau an ihrer Spitze zu haben.“ Viele Staats- und Regierungschefs hätten in ihren Reden denselben Widerspruch angesprochen.
### Reformen seien finanziell unabdingbar
Weil Beiträge ausbleiben, müssten Effizienzsteigerungen her, argumentiert Baerbock: Agenturen könnten zusammengeführt, Standorte wie Nairobi oder Bonn stärker genutzt und KI zur Bürokratieabbildung eingesetzt werden. Ohne Reform drohe „eine schleichende Irrelevanz“.
### Die deutsche Kandidatur für einen nichtständigen Sicherheitsratssitz
Baerbock bestätigt, dass Deutschland sich innerhalb der Westeuropäischen Gruppe gegen Portugal und Österreich bewerbe. Sie vermeide aber parteipolitische Bewertungen, ob der fehlende Bundeskanzler-Besuch während der High-Level-Week ein strategischer Fehler gewesen sei.
## Einordnung
Die Sendung erfüllt höchste journalistische Standards: klare Trennung zwischen Moderation und Interview, stringent argumentierende Gegenfragen, sachliche Faktendarstellung. Weder esoterische Heilsversprechen noch rechte Positionen werden durchgewinkt; allenfalls die Skepsis gegenüber Vetomächten und westlichen Einzelinteressen klingt an. Diskursive Schwächen: Perspektiven afrikanischer oder asiatischer Nicht-Vetostreiter fehlen weitgehend, Machtasymmetrien bleiben theoretisch. Dennoch bietet der Podcast eine komplexe, zugängliche Auseinandersetzung mit Reformdruck und Zukunft der UN.