Servus. Grüezi. Hallo.: Live in Wien: im Klappsarg über'n Heldenplatz
Die ZEIT-Korrespondenten Matthias Daum, Florian Gasser und Jacob Lenz erklären im Live-Podcast, warum der Tod in Wien zelebriert statt verdrängt wird.
Servus. Grüezi. Hallo.
19 min read3731 min audioIm Rahmen des 20-jährigen Jubiläums von ZEIT Österreich findet diese Live-Ausgabe des transalpinen Podcasts im ausverkauften Wiener Burgtheater statt. Die drei ZEIT-Redakteur:innen Matthias Daum (Leiter ZEITmagazin), Florian Gasser (ZEIT-Korrespondent Wien) und Jacob Lenz (Leiter ZEIT Österreich) diskutieren vor Publikum über das spezifisch österreichische Verhältnis zum Tod, das sie als „wienerische Morbidität“ bezeichnen. Sie sprechen über historische Wurzeln bei den Habsburgern, kulturelle Unterschiede zu Deutschland und der Schweiz sowie moderne Bestattungsrituale.
### Die Habsburger hätten den Tod politisiert und inszeniert
Die Habsburger Monarchie habe durch aufwendige Leichenzüge und die (misslungene) Einführung des Klappsargs 1785 den Tod zur öffentlichen Angelegenheit gemacht. Laut Florian Gasser habe Kaiser Josef II. mit dem Klappsarg „einerseits aufklären und Hygienestandards erhöhen, aber natürlich auch Geld sparen“ wollen. Die Leiche falle durch einen Mechanismus aus dem wiederverwendbaren Sarg, was eine „sehr unpopuläre Entscheidung“ gewesen sei, die nur sechs Monate gehalten habe.
### Der Zentralfriedhof sei eine „demokratische Stadt“ für Lebende und Tote
Jacob Lenz beschreibt den Wiener Zentralfriedhof als „eigene Welt“, wo Prominente und einfache Menschen nebeneinander liegen. Er sei „eher ein Ort der Ruhe und Entspannung“, beheimatete Rehe, Füchse und Fledermäuse und sei beliebter Treffpunkt: „Ich kenne eigentlich keinen Menschen, der nicht gerne auf den Zentralfriedhof geht.“
### Österreich feiere den Tod, Deutschland verdränge ihn
Die Gesprächspartner:innen betonen immer wieder, dass in Österreich der Tod emotional zelebriert werde, während Deutsche eher rational-melanchoisch und Schweizer:innen planend-rational damit umgingen. In Wien gebe es Leichenschmäuse, bei denen „die Familie zusammenkommt und man feiert ein bisschen das Leben des Toten“. Deutsche würden den Tod lieber „wegorganisieren“, etwa durch Baumbestattungen.
### Die Wiener Morbidität sei kein Niedergeschlagenheitskult
Florian Gasser konteriert das Vorurteil, Wiener:innen seien „traurig“ oder „melancholisch“. Im Gegenteil seien sie „sehr lebensfroh, humorvoll und optimistisch“. Der Umgang mit dem Tod sei fröhlich: „Das sind keine traurigen Feste, das sind fröhliche Feste.“ Der Tod werde als „Übergang“ akzeptiert und in Liedern und Bräuchen zelebriert.
### Sterbehilfe und Bestattungsregeln unterscheiden die Alpenrepubliken
In der Schweiz sei Sterbehilfe möglich, was in Österreich und Deutschland „undenkbar“ sei. Neue deutsche Regelungen erlaubten Asche im Garten oder Baumbestattungen; in Österreich gelte das als „undenkbar“. Die Natur werde in Deutschland mit Leben, in Österreich eher mit Verfall assoziiert.
## Einordnung
Die Live-Folge wirkt wie ein kulturanthropologisch geschulter Salon, der klischeehafte Gegensätze zwischen den Alpenländern liebevoll zuspitzt. Die drei Redakteur:innen bedienen sich dabei einer gemütlich-heiteren Rhetorik: Sie bestätigen sich gegenseitig, zitieren Volkslieder und Anekdoten, ohne je auf wissenschaftliche Studien oder Gegenstimmen zu verweisen. Die Habsburger-Historie wird dabei nicht kritisch hinterfragt, sondern als ur-österreichisch verharmlost. Fehlende Perspektiven: Bestatter:innen, Hinterbliebene mit Migrationshintergrund oder Menschen, die Wiener Bräuche ablehnen, kommen nicht zu Wort. Der Diskurs bleibt intra-kulturell homogen und verfestigt statt zu durchbrechen. Dennoch gelingt den Gastgeber:innen ein unterhaltsamer, mit lokalem Witz gewürzter Blick auf eine Tabuzone, der das Publikum sichtlich amüsiert – und zugleich bestätigt, dass Zeiten-Journalismus auch gemütlich daherkommen darf, wenn er sich selbst als Gesprächskultur feiert.