Im Juni 2023 diskutierten Lawfare-Chefredakteur Benjamin Wittes und Gabe Rottman (Reporters Committee for Freedom of the Press) im Podcast die neuen Justiz-Ministerium-Richtlinien, die Reporter:innen vor Zwangsprozessen wie Vorladungen und Durchsuchungsbeschlüssen schützen sollen. Die Regelung definiert investigativen Journalismus funktional als „newsgathering" und verbietet weitgehend, gegen Medienschaffende zu ermitteln, die lediglich klassifiziertes Material erhalten, besitzen oder veröffentlichen – ein einschneidender Verzicht auf eine von Gerichten bestätigte Befugnis. Zwei Ausnahmen bleiben: (1) Begeht eine Journalistin selbst eine Straftat (z. B. Einbruch, Hacking), gilt sie nicht mehr als „newsgathering"; (2) Dringende Fälle von Spionage oder Computerdelikten könnten dennoch zu Prozessen führen, wenn die Redaktion die Quelle aktiv zu Straftaten anstiftet. Die bisherige Praxis zeigt: Obama und Trump setzten beide zahlreiche Leak-Ermittlungen durch, während das Garland-Justizministerium sechs Monate nach Inkrafttreten der neuen Policy kaum entsprechende Fälle bekannt wurden. Die Regelung ist interner Natur, kann von künftigen Regierungen jederzeit über Bord geworfen werden; Gesetzesvorhaben wie der „Press Act" sollen sie verfestigen, stehen aber still. Die Diskussion zeigt, dass die Richtlinie zwar journalistische Quellen besser schützt, aber Grauzonen – etwa wie viel „Anstiftung" noch journalistische Berichterstattung ist – offen lässt. Experten loben den mutigen Schritt, warnen aber, dass erst Gerichtsverfahren die tatsächliche Wirkung offenbaren werden. ### Historische Eskalation seit Nixon Die Auseinandersetzung begann 1970 mit John Mitchells Vorladungen gegen NYT-Reporter Earl Caldwell, wurde durch die Branzburg-Entscheidung 1972 manifest und zog sich über AP-/Rosen-Skandale bis zu Trumps geheimen Telefon- und E-Mail-Beschlagnahmungen 2020. ### Grundrechtswandel statt Ausgewogenheit Statt eines „Abwägungstests" zwischen Ermittlungsinteresse und Pressefreiheit definiert die Policy nun funktional „newsgathering"; wer darunter fällt, erhält praktisch uneingeschränkten Schutz. ### Definitionsspielraum bleibt unklar Ob Aktivist:innen, Blogger:innen oder Bürger:innen, die in der Stadtverordnetenversammlung Fragen stellen, als „news media" gelten, hängt von Einzelfallentscheidungen; offenkundig ist nur, dass klassische Redaktionen klar erfasst sind. ### Straftat-Ausnahme schafft Schlupflöcher Wer etwa selbst ein System hackt oder zu Straftaten anstiftet, kann weiterhin überwacht werden; ungeklärt ist, wieviel „Anstiftung" noch journalistische Recherche bleibt – ein Spielraum für kreative Staatsanwält:innen. ### Institutionalisierte Höchstprüfung Bei „neuen oder engen" Fragen muss die Entscheidung zum Eingriff bis auf den Attorney General durchgestellt werden, was praktisch eine weitere Hürde darstellt, aber keine Garantie bietet. ### Politische Wandelbarkeit Die Policy ist kein Gesetz; ein künftiger Attorney General könnte mit Federstrich zurück zum alten Modell kehren. Legislative Bemühungen wie der „Press Act" stocken im Senat. ## Einordnung Die Sendung demonstriert journalistischen Tiefgang: Wittes interviewt sachlich, holt historische und rechtliche Kontexte ein und konfrontiert seinen Gast mit praktischen Widersprüchen. Rottman liefert zahlreiche Belege (Gerichtsurteile, AP-Fall, Rosen-Fall) und räumt Unsicherheiten offen ein. Die Argumentation bleibt stringent: Sie zeigt, dass Überwachung von Quellen meist ineffektiv sei, weil sie weitere Enthüllungen verhindere, und stellt die kollektiven Interessen von Demokratie, Transparenz und Pressefreiheit über Einzelermittlungen. Kritische Gegenstimmen (enttäuschte FBI-Agenten) werden zitiert, aber nicht breit diskutiert; ebenso fehlt eine Verteidiger:innen-Perspektive. Der Fokus auf innenpolitische Prozesse blendet internationale Vorbilder (z. B. europäische Quellenschutz-Gesetze) aus. Insgesamt liefert der Podcast eine informative, durchdachte Analyse eines zentralen Spannungsfeldes zwischen Sicherheitsapparat und Journalismus – mit klarem Lob für die aktuelle Policy, aber auch mit realistischer Einschätzung ihrer Verwundbarkeit.