FALTER Radio: SOS Kinderdorf-Skandal: Neue Vorwürfe - #1477
Der FALTER enthüllt, dass SOS-Kinderdörfer in Österreich jahrzehntelang Misshandlungen verschwiegen und Behörden wegschauten.
FALTER Radio
1493 min audioDie FALTER-Redakteurinnen Eva Konzett und Julia Schafferhofer berichten über systemische Gewalt in SOS-Kinderdörfern. Nach Recherchen zum Fall Moosburg melden sich weitere Betroffene, die von sadistischen Strafen wie dem Aufessen des eigenen Erbrochenen oder Hand-Fesselungen berichten. Die Spur führt auch nach Imst/Tirol, wo bereits in den 1950er-60er Jahren ähnliche Misshandlungen stattfanden. Dokumente belegen, dass die SOS-Spitzen um Geschäftsführer Christian Moser seit mindestens 2007 von den Vorfällen wussten, sie aber intern ausbaden und öffentlich verschwiegen. Auch Behörden ignorierten Beschwerden oder schoben Verantwortung zu. Trotz zahlreicher belastender Akten gibt es bislang kaum Konsequenzen; die Verjährung verhindert strafrechtliche Schritte. Die Betroffenen fordern Entschädigung und Aufarbeitung, während SOS-Kinderdorf und Politik weiterhin auf Zeit spielen.
### 1. Systemische Demütigungen galten als Erziehungsmittel
Betroffene berichten, dass Kinder regelmäßig Schläge, Demütigungen und extreme Strafen erdulden mussten. Konzett beschreibt, dass ihnen etwa das eigene Erbrochene aufgezwungen oder die Münder zugeklebt wurde. Die Täter*innen seien genau jene Kinderdorf-Mütter und -Väter gewesen, die eigentlich Schutz bieten sollten.
### 2. Angst prägt Betroffene lebenslang
Schafferhofer hebt hervor, dass viele der heute Erwachsenen noch immer "permanente Angst" entwickeln, wenn sie an die Zeit im Kinderdorf denken. Diese psychischen Narben führten oft dazu, dass ein normales Leben kaum möglich sei.
### 3. Leitung wusste früher Bescheid, als sie zugibt
Laut internen Protokollen lag dem Vorstand 2007 bereits ein detailliertes Opfer-Gespräch vor, in dem Misshandlungen in Imst geschildert wurden. Moser behauptet heute, er könne sich nicht erinnern; die Redaktion wertet dies als bewusstes Wegschauen.
### 4. Behörden schalteten sich nur oberflächlich ein
1968 beschwerte sich ein Kind bei der Bezirkshauptmannschaft Imst über Schläge und Zwangsarbeit. Die Behörde bat die Kinderdorf-Leitung um Stellungnahme, akzeptierte deren Minimalzugeständnis ("nur einmal geschlagen") und leitete keine weiteren Schritte ein.
### 5. Verantwortung wird auf Opfer abgewälzt
Bei einem Krisengespräch habe Moser den Betroffenen laut Schafferhofer vorgehalten, sie hätten früher sprechen sollen, um Täter*innen zur Rechenschaft ziehen zu können. Damit würde ihnen Mitschuld suggeriert, während Organisation und Politik lernfähig wirken wollen.
### 6. Politik verspricht, zieht aber nicht konsequent
Sozialminister Rauch sicherte Entschädigung und Anerkennung zu, doch seien Gesetzesänderungen nötig. Die Redakteurinnen kritisieren, dass trotz bundesweiter Aufmerksamkeit bisher kein klares Unterstützungsprogramm aufgesetzt wurde.
## Einordnung
Der Podcast dokumentiert in klarer, nüchterner Sprache, wie eine renommierte Wohltätigkeitsorganisation systematische Gewalt über Jahrzehnte deckt und interne Warnsignale ignoriert. Besonders aufschlussreich ist das journalistische Vorgehen: statt einzelne Fälle zu skandalisieren, zeigen Konzett und Schafferhofer ein wiederkehrendes Muster von struktureller Verantwortungslosung, das von Behörden bis Vorstand reicht. Die Interviewer*in hält die Sprechenden konsequent auf Tatsuchebene, lässt emotionale Schilderungen aber authentisch wirken. Kritisch bleibt, dass die Aufarbeitung auch nach publik gemachten Beweisen vor allem symbolisch verläuft – eine Beobachtung, die durch die Redaktion nicht weiter hinterfragt wird. Dennoch bietet die Folge eindrucksvolle Einblicke in investigativen Alltag und macht deutlich, wie leicht Kinderschutz auf verwaltete Bürokratie verloren geht.