Breitband: Coldplay-Gate - Das Private ist öffentlich

Diese Breitband-Folge enthüllt, wie Social Media unsere Privatsphäre zerstört, Zahlungsdienstleister über Online-Inhalte entscheiden und der Ukraine-Krieg zum gamifizierten Drohnenkrieg wird.

Breitband
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Der Deutschlandfunk-Kultur-Podcast "Breitband" widmet sich in dieser Folge drei brisanten Themen: dem viralen Kiss-Cam-Vorfall bei einem Coldplay-Konzert und seinen Folgen für Privatsphäre, der Macht von Zahlungsdienstleistern wie Visa und Mastercard über Online-Inhalte am Beispiel gesperrter Erotikspiele auf Steam, sowie dem Bonuspunkte-System der ukrainischen Army of Drones, das Drohnenabschüsse gamifiziert und mit KI-Training verknüpft. ### 1. Kiss-Cam als letzter Nagel im Sarg der Privatsphäre Die sogenannte Kiss-Cam, die beim Coldplay-Konzert ein Tech-CEO und seine Personalchefin in einer Affäre zeigte, habe die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit endgültig verwischt. Die Medienpsychologin Sabine Trepte erklärt: "Wenn ich weiß, dass eine Kamera [...] auf mich gerichtet ist, dann erfolgt etwas, was wir in der Forschung als Self-Censorship [...] bezeichnen." Die Viralität sei nicht mehr kontrollierbar, sobald Aufnahmen in soziale Medien gelangen. ### 2. Zahlungsdienstleister als heimliche Zensoren des Internets Steam habe unter Druck von Visa, Mastercard und PayPal besonders harte pornografische Spiele aus dem Verkauf genommen, obwohl diese nicht illegal seien. Die australische Aktivistengruppe Collective Shout habe diesen Druck ausgeübt, wobei laut Expert:innen auch konservative rechte Gruppen dahinter stünden. Die Folge: "Die alternative Games-Plattform itch.io hat alle Erotikspiele aus der Suchfunktion entfernt - auch solche, die nichts mit Sex zu tun haben." ### 3. Gamification des Krieges durch ukrainische Army of Drones Das ukrainische Verteidigungsministerium vergebe Punkte für Drohnenabschüsse: 40 Punkte für einen Panzer, 12 für einen Soldaten. Diese Punkte könnten auf dem "Brave One Market" gegen neue Ausrüstung eingetauscht werden. Die gesammelten Videos würden zudem zur KI-Entwicklung genutzt, um künftig autonome Zielerfassung zu ermöglichen - eine Entwicklung, die selbst Militärethiker:innen als höchst problematisch einstufen. ### 4. Die Illusion der Kontrolle über digitale Privatsphäre Trepte betont, dass echte Kontrolle über die eigene Privatsphäre in digitalen Kontexten nicht mehr möglich sei: "Wir müssen uns auf andere Regularien der Privatheitsregulierung zurückziehen. Das heißt, wir müssen vertrauen." Die Renaissance analoger Digitalkameras werde möglicherweise durch den Wunsch nach gefühlter Privatheit getrieben. ### 5. Finanzielle Zensur als demokratisches Problem Die Macht der Zahlungsdienstleister werde kritisch diskutiert: "Wir lagern diese eigentlich demokratische Regulierungsaufgabe auf Unternehmen aus." Kritiker:innen sprechen von "Finanzzensur", wobei fraglich sei, wer künftig über die Grenzen zwischen legitimen und unerwünschten Inhalten entscheide. ### 6. Moralische Grauzone zwischen Kriegsnotwendigkeit und Ethik Die Ukraine befinde sich in einer existenziellen Notlage, was ethische Standards relativiere. Der Ethiker Bernhard Koch warnt: "Bonusprogramme [...] sollten sich allenfalls auf Tugenden richten [...], aber nicht die Effekte des erfolgreichen Tötens." ## Einordnung Breitband präsentiert sich als aufklärendes journalistisches Format, das komplexe digitale Phänomene verständlich macht. Die Redaktion gelingt eine bemerkenswerte Balance zwischen sachlicher Information und ethischer Reflexion. Besonders bemerkenswert ist die konsequente Einordnung durch Expert:innen aus Psychologie, Ethik und Technologie, ohne zu moralisieren. Die Perspektivenvielfalt ist gegeben - von Aktivist:innen über Militärexpert:innen bis hin zu Betroffenen. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass bei der Diskussion um die Ukraine-Kriegs-Technologie die russische Perspektive ausgeblendet bleibt, was angesichts des Angriffskriegs nachvollziehbar, aber dennoch eine Lücke darstellt. Die Sendung vermeidet es, einfache Antworten zu geben und zeigt stattdessen die Komplexität moderner digitaler Machtverhältnisse auf. Die journalistische Qualität zeigt sich in der sorgfältigen Recherche und der Fähigkeit, technische Details ohne Fachchinesisch zu vermitteln.