Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt analysieren in „Wohlstand für alle“ die geplante Reformpolitik von Bundeskanzler Friedrich Merz und der Koalition. Sie kritisieren, dass unter dem Begriff der „Gerechtigkeit“ Sozialleistungen wie Bürgergeld und Rente gekürzt werden sollen, während gleichzeitig die Rüstungsausgaben steigen. Die Sprecher:innen entlarven die Strategie, verschiedene gesellschaftliche Gruppen – etwa Junge gegen Alte oder Erwerbstätige gegen Bürgergeldempfänger – gegeneinander auszuspielen, um von Verteilungskonflikten abzulenken. Besonders scharf kritisieren sie die Diskussion um angeblich „mafiöse Strukturen“ beim Bürgergeld, die auf Einzelfälle basiere, aber als Rechtfertigung für massive Einschnitte im Sozialsystem diene. Die Episode zeigt, wie rechte und neoliberale Narrative in den Mainstream übernommen werden – nicht nur von der CDU, sondern auch von SPD-Politiker:innen wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Arbeitsministerin Bärbel Bas. ### 1. Gerechtigkeit als leeres Schlagwort zur Legitimation von Sozialabbau Die Sprecher:innen zeigen, dass der Begriff „Gerechtigkeit“ in der aktuellen politischen Debatte nicht zur Verbesserung sozialer Verhältnisse, sondern zur Kürzung von Sozialleistungen missbraucht wird. Ole Nymoen stellt klar: „Was als ungerecht oder gerecht zu gelten hat, ist eine völlig subjektive Sache.“ Die Marktwirtschaft produziere keine gerechten Ergebnisse – weder nach Leistung noch nach Bildung. Stattdessen werde mit dem Gerechtigkeitsargument ein Klassenkampf von oben nach unten geführt, etwa wenn Bürgergeldempfänger gegen Mindestlohnempfänger ausgespielt werden. ### 2. Die Junge-gegen-Alte-Logik entspringt einer politischen Framing-Strategie Die angebliche Überforderung der jungen Generation durch ein überdimensioniertes Rentensystem wird laut Autoren konstruiert. Wolfgang M. Schmitt erklärt, dass es sich um eine „politische Entscheidung“ handle, nicht um eine ökonomische Notwendigkeit: „Man könnte auch sagen, die Rente darf nur übers Umlagesystem finanziert werden.“ Statt über eine stärkere Besteuerung von Vermögen oder Erbschaften nachzudenken, würden die Alten gegen die Jungen ausgespielt – ein klassisches divide-et-imperia-Prinzip. ### 3. Die „Bürgergeld-Banden“-Debatte basiert auf Einzelfällen und dient der Stigmatisierung Die Sprecher:innen entlarven die Berichterstattung über „mafiöse Strukturen“ beim Bürgergeld als Stimmungsmache. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen lag die Zahl der Verdachtsfälle auf „Bandenmissbrauch“ im Jahr 2023 bei lediglich 229 – ein verschwindend geringer Anteil. Die wahren Leidtragenden seien die Betroffenen selbst, die unter „Menschenhandels ähnlichen Bedingungen“ nach Deutschland gelockt und ausgebeutet würden. Die Debatte diene einzig dazu, Kürzungen beim Bürgergeld zu rechtfertigen. ### 4. Die Exportkrise Deutschlands wird durch Sozialabbau nicht gelöst Die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft – insbesondere der Exportrückgang und der Verlust wichtiger Absatzmärkte – würden durch Sparmaßnahmen beim Sozialsystem nicht behoben. Wolfgang M. Schmitt betont, dass „mit diesen Reformen [nicht] das strukturelle Problem von Deutschland abgeschafft werden“ könne. Die Politik setze auf alte Rezepte wie die Agenda 2010, obwohl sich die globalen Rahmenbedingungen grundlegend verändert hätten. ### 5. Die Militarisierung des Etats steht im Konflikt zum Sozialabbau Die geplanten Rüstungsausgaben von künftig über 100 Milliarden Euro jährlich würden fast die Hälfte des Bundeshaushalts verschlingen. Gleichzeitig würden Sozialleistungen gekürzt. Die Sprecher:innen sehen darin eine klare politische Priorisierung: „Der Herbst der Reform und die folgenden Jahreszeiten dürften kalt werden.“ Die These vom notwendigen Sozialabbau wegen fehlender Finanzmittel werke durch die Militärausgaben ad absurdum geführt. ### 6. Auch die SPD übernimmt neoliberale Framing-Muster Nicht nur die CDU, auch die SPD mache sich laut Autoren zum Komplizen der neoliberalen Reformagenda. Der Bundespräsident, einst Architekt der Agenda 2010, fordere erneut „Reformen im Namen der Gerechtigkeit“. Und Bärbel Bas, SPD-Arbeitsministerin, stimme der Skandalisierung von Bürgergeldempfängern zu. Ole Nymoen konstatiert: „Wie bereitwillig die SPD mitmacht, ist schon erstaunlich.“ ## Einordnung Die Episode ist ein bemerkenswert scharfsichtiger und zugleich unterhaltsamer Kommentar zur aktuellen Bundespolitik. Nymoen und Schmitt entlarven mit rhetorischer Brillanz, wie rechte und neoliberale Narrative in den gesellschaftlichen Mainstream übernommen werden – nicht nur von der Union, sondern auch von Teilen der SPD. Besonders beunruhigend ist, wie ohne belastbare Daten mit der Stigmatisierung von Sozialleistungsbezieher:innen operiert wird. Die angeblich „mafiösen Strukturen“ beim Bürgergeld basieren auf Einzelfällen, dienen aber als Rechtfertigung für einen massiven Sozialabbau. Die Sprecher:innen zeigen, dass es sich bei der angeblichen Generationengerechtigkeit und dem Kampf gegen „Betrug“ im Sozialsystem um gezieltes Framing handelt, das soziale Gruppen gegeneinander ausspielt und von Verteilungskonflikten ablenkt. Die Sendung versteht sich als explizite Gegenöffentlichkeit zu dieser Hegemonie – mit klaren Worten, aber ohne belehrenden Ton.