FALTER Radio: Begleiteter Suizid: “Ich will in Würde sterben” - #1459
Ein außergewöhnliches Interview mit Niki Glattauer über seinen bevorstehenden assistierten Suizid und die Fragen von Leben, Tod und Menschenwürde.
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69 min read3003 min audioDer Falter-Chefredakteur Florian Klenk und Newsflix-Chef Christian Nusser besuchen den unheilbar kranken Lehrer, Schriftsteller und Buchautor Niki Glattauer in seiner Wiener Wohnung. In einem sehr persönlichen Gespräch erzählt Glattauer, warum er sich für einen assistierten Suizid entschieden hat, wie das Verfahren in Österreich funktioniert und welche Rolle seine Familie dabei spielt. Er spricht offen über seine Krebserkrankung, seine Ablehnung von Chemotherapie und seine Überzeugung, dass Menschen das Recht haben sollten, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. Das Gespräch berührt auch seine Vergangenheit als Journalist bei der Kronenzeitung und als Lehrer in Brennpunktschulen, wo er sich für bessere Integration einsetzte.
### 1 Die rechtliche Möglichkeit des assistierten Suizids in Österreich sei vielen Menschen unbekannt
Glattauer berichtet, dass viele Menschen nicht wüssten, dass ein assistierter Suizid in Österreich möglich sei: "Weil ich glaube, dass es zu wenig bekannt ist, dass man das tun kann in Österreich." Er habe selbst erst durch Zufall erfahren, dass er nicht in die Schweiz fahren müsse, sondern dass es in Österreich eine einfache Möglichkeit gebe.
### 2 Das Prozedere sei unbürokratisch und schnell ablaufen
Die Ärztin aus Innsbruck habe ihm erklärt, dass das Verfahren "ganz leicht und einfach geht". Es seien zwei unabhängige Ärzte gekommen, die seine Diagnose bestätigt hätten. In seinem Fall habe man die Wartezeit von drei Monaten auf zwei Wochen verkürzt, da sein Krebs bereits in einem sehr fortgeschrittenen Stadium sei.
### 3 Die Kosten für den assistierten Suizid lägen bei mehreren tausend Euro
Glattauer schätzt die Gesamtkosten auf etwa 2.500 bis 3.000 Euro: "Die Gesamtkosten... ich würde jetzt einmal sagen... ungefähr 400, 500 Euro... die Ärztin für das ganze Dingsbums mit Medikament... die glaube ich 1.500 oder 1.600 Euro." Dies sei eine Hürde für Menschen mit weniger finanziellen Mitteln.
### 4 Die Entscheidung werde von seiner Familie akzeptiert
Seine Kinder und Ex-Frau hätten Verständnis für seine Entscheidung gezeigt. Sein 16-jähriger Sohn habe gesagt: "Papi, ich würde an deiner Stelle wahrscheinlich genauso handeln." Die Kinder wollten die letzten Tage gemeinsam mit ihm verbringen und seine Würde bewahren.
### 5 Der Umgang mit nicht deutschsprachigen Schülern sei eine große Herausforderung
Glattauer berichtet von Schulen, "die mit zu viel nicht deutschsprechenden Kindern inzwischen heillos überfordert ist". Er fordert Maßnahmen wie die frühkindliche Sprachförderung und kritisiert, dass Lehrer mit Migrationshintergrund oft die wichtigsten Multiplikatoren seien, die aber nicht ausreichend unterstützt würden.
### 6 Die letzten Tage seien von tiefer Trauer geprägt
Trotz seiner klaren Entscheidung erlebe er Momente tiefer Trauer: "Ich war jetzt in Thailand mehrmals gestanden und gesessen... und habe wirklich geheult wie ein Schlosshund. Weil manches so traurig ist, es zum letzten Mal zu erleben."
## Einordnung
Diese außergewöhnliche Podcastfolge des Falter zeigt journalistische Professionalität in ihrer reinsten Form. Die Redakteur:innen behandeln das hochsensible Thema des assistierten Suizids mit Respekt und Tiefe, ohne in voyeuristische oder sensationsheischende Berichterstattung zu verfallen. Die Gesprächsführung ist einfühlsam und gibt Niki Glattauer ausreichend Raum, seine sehr persönliche Geschichte in eigenen Worten zu erzählen. Besonders bemerkenswert ist die sorgfältige Einbettung der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Einbeziehung von Kontaktdaten für Suizidprävention - ein beispielhafter Umgang mit einem Thema, das zwischen Autonomie und Schutz oszilliert. Die journalistische Leistung liegt nicht in der Bewertung der Entscheidung, sondern in der schonenden, aber unerschrockenen Dokumentation eines Menschen in seinen letzten Tagen. Die Folge setzt Maßstäbe für ethisch verantwortungsvollen Journalismus in Extremsituationen.
Hörempfehlung: Eine bewegende und journalistisch vorbildliche Dokumentation über Selbstbestimmung am Lebensende, die mit großer Sensibilität und professioneller Distanz erzählt wird.