Der Tag: Urteil gegen Bolsonaro in Brasilien - Geht so wehrhafte Demokratie?
Historisches Putsch-Urteil gegen Bolsonaro und Streit um 100-Milliarden-Infrastrukturprogramm – sachlich aufbereitet, aber wenig kritisch hinterfragt.
Der Tag
44 min read1897 min audioDer Deutschlandfunk-Podcast „der Tag“ vom 12. September 2025 beleuchtet zwei Schwerpunkte: das brasilianische Urteil gegen Ex-Präsident Jair Bolsonaro wegen versuchten Staatsstreichs (27 Jahre Haft) und die Verteilung des 100-Milliarden-Bundesinfrastruktursondervermögens auf Länder und Kommunen. Moderation: Josefine Schulz. Gäste sind Korrespondentin Anne Herberg (Brasilien) sowie Kommunalfinanz-Experte Prof. Rene Geisler. Die Sendung wirkt journalistisch professionell, bleibt aber deskriptiv und verzichtet auf tiefgreifende Kritik an rechtspopulistischen Narrativen.
### 1. Bolsonaro-Prozess als brasilianisches „Kapitol-Sturm“-Äquivalent
Die Richter:innen werteten laut Herberg eine monatelange geplante Desinformationskampagne, Autobahnpolizei-Einsätze und Treffen mit Militärs als Beleg für eine „kriminelle Organisation“ mit dem Ziel, die Wahl zu annullieren. „Es gab einen Kronzeugen … viele dessen Aussagen wurden eben durch Beweise der Bundespolizei belegt, Audiomitschnitte, Dokumente, Filmaufnahmen.“
### 2. Oberstes Gericht als Richter und Ermittler – ein brisantes Machtgeflecht
Die Verteidigung kritisiert, das Gericht habe sich Sonderbefugnisse zugeschrieben und sei zugleich Opfer und Richter. Herberg räumt ein, „dass das Oberste Gericht … gleichzeitig Richter und Ermittler“ sei, führt aber aus, es habe „innerhalb des verfassungsmäßigen Rahmens gehandelt“.
### 3. Gesellschaftliche Spaltung und US-Einfluss
Trump bezeichnete das Verfahren als „Hexenjagd“; das US-Weiße Haus verhängte Strafzölle. Die brasilianische Rechte ruft nach Amnestie, während Gegner:innen auf den Straßen feiern. Die US-Intervention verschärft laut Herberg die Polarisierung und stärkt paradoxerweise Präsident Lula, der sich als Verteidiger nationaler Souveränität inszeniert.
### 4. Infrastrukturmilliarden: Symbolik versus Faktische Wirkung
Geisler betont, 100 Mrd. Euro auf zwölf Jahre verteilt seien „eine symbolische, auch eine politische Zahl“. Der Bund überträgt das Geld indirekt über die Länder, die typischerweise 60 % an Kommunen weiterreichen. Weil keine Mindestinvestitionsquote bestehe, drohen Mitnahmeeffekte: „am Ende werden nicht 20 Milliarden investiert, sondern vielleicht nur 18“.
### 5. Baupreis-Inflation und sichtbar-werden als Kommunikationsproblem
Der Experte bestätigt die Sorge, Baukonzerne könnten Preise erhöhen, sodass „am Ende … nicht unbedingt mehr Straßen“ entstünden. Die wirkliche Herausforderung sei, die Wirkung für Bürger:innen sichtbar zu machen: „Es wird ein paar Jahre dauern, sichtbar wird es werden.“
## Einordnung
Die Sendung liefert seriöse Hintergrundinformationen, bleibt aber in der Analyse der autoritären und rechtspopulistischen Strategien Brasiliens eher oberflächlich. Die Parallelen zwischen Bolsonaro, Trump und globalen antidemokratischen Bewegungen werden zwar benannt, nicht aber konsequent in den globalen Rechtsruck eingeordnet. Die Machtrolle des Obersten Gerichts wird problematisiert, doch fehlt eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und politischem Missbrauch der Justiz. Beim deutschen Infrastrukturprogramm verdeutlicht der Experte die administratischen Schwächen, doch bleibt die politische Bewertung der Verteilungskämpfe zwischen Bund, Ländern und Kommunen blass. Insgesamt ein informativer, aber wenig kritischer Journalismus, der vor allem beschreibt, statt Machtverhältnisse und ideologische Muster zu hinterfragen.
Hörempfehlung für Hörer:innen, die schnell einen fundierten Überblick über zwei aktuelle Top-Themen brauchen, ohne sich tief mit rechtspopulistischen Strategien oder strukturellen Problemen deutscher Finanzpolitik auseinanderzusetzen.