The Lawfare Podcast: Lawfare Daily: Rethinking Deepfake Response with Gavin Wilde
Eine besonnene Auseinandersetzung mit der Deepfake-Angst, die die Geschichte der Medienmanipulation nutzt, um die aktuelle Debatte zu relativieren.
The Lawfare Podcast
2173 min audioDas Gespräch zwischen Justin Sherman (Lawfare) und Gavin Wilde (Carnegie Endowment) beleuchtet die tieferen Ursachen der sogenannten Deepfake-Angst. Wilde räumt ein, dass „Tieffälschungen“ lediglich die jüngste Variante historischer Bild- und Tonmanipulation seien; schon frühe Fotografien, Stalins Retuscheure, Orson Welles' Radiosendung "Krieg der Welten" oder Film-Tricks hätten Gesellschaften vor ähnliche Herausforderungen gestellt. Das Kernthema sei weniger die Software als die Menschen: Wer ohnehin bereit sei, ungeprüfte Inhalte zu glauben oder sie seiner Meinung entsprechend zu teilen, falle auch auf schlechte Fakes herein – die technische Perfektion spiele dabei eine untergeordnete Rolle. Wilde betont, dass die befürchtete Flut von Wahl-Deepfakes 2024 bislang ausgeblieben sei; Fälle in Indien oder der Slowakei seien schnell entlarvt und politisch kaum wirksam gewesen. Statt auf Detektions-Technologien oder pauschale Verbote zu setzen, fordert er eine „Resilienz-Strategie“: Medienkompetenz stärken, investigative Journalistik und Faktenchecker finanziell absichern, gezielt nur schwerwiegende Schäden wie nicht-konsensuelle Pornografie verbieten. Die Debatte verfehle den wahren Gegenstand, solange sie auf das Werkzeug statt auf das soziale Umfeld schaue; das zentrale Problem sei der wachsende Vertrauensverlust in gemeinsame Wissensinstitutionen.
### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt
Gavin Wilde relativiert die Technik-Debatte: „We've always had to deal with manipulated media … the sky is not falling just because deepfakes are here“, konstatiert er und verweist auf historische Bild- und Tonfälschungen seit den frühen 1900er-Jahren.
### Die Angst vor dem „post-truth“-Ende sei übertrieben
Laut Wilde entstehe die Sorge, „we won't be able to trust anything we see or hear“, vor allem aus einem Gefühl, Fakten zählten ohnehin nicht mehr. Die Geschichte zeige, dass Gesellschaften früher ebenfalls mit Zweifel umgehen lernten.
### Wahl-Deepfakes 2024 blieben weitgehend aus
Trotz Warnungen vor einem „year of the deepfake election“ seien in Indien oder der Slowakei nur wenige Fälle aufgetreten; „they haven't been widespread, and they haven't been particularly impactful“, bilanziert der Experte.
### Menschliche Neigung zum ungeprüften Teilen sei zentral
Wilde betont, dass die eigentliche Gefahr nicht die Software, sondern das Publikum sei: „people are already susceptible to believing things that are not true, even if they're not deepfakes.“
### Stärkung von Institutionen statt Technologie-Fixierung
Als Konsequenz fordert er den Ausbau von Medienkompetenz, investigativem Journalismus und Faktenchecking: „we need to focus on the human element, and how do we build resilience in people and in institutions?"
### Überregulierung könnte Meinungsfreiheit gefährden
Pauschale Verbote oder Detektionspflichten hält Wilde für gefährlich: „it could lead to censorship, and it could stifle innovation“. Nur gezielte Maßnahmen gegen eindeutige Schäden seien sinnvoll.
## Einordnung
Die Episode demonstriert journalistische Grundsolidität: klarer Aufbau, Faktencheck-Vergangenheitsvergleich, differenzierte Empfehlungen. Sherman stellt offene Fragen, fordert den Gast nicht heraus, verzichtet aber auch auf reißerische Dramatik. Die Perspektive bleibt durchgehend technokratisch-westlich; Stimmen aus dem globalen Süden, Betroffene von nicht-konsensuellen Deepfakes oder Plattformverantwortliche kommen nicht vor. Die Annahme, „der Vertrauensverlust“ sei das eigentliche Übel, verdrängt strukturelle Machtfragen: Wer definiert, was als „vertrauenswürdige Institution“ gilt? Welche Macht haben Plattform-Algorithmen über sichtbare „Wahrheiten“? Die Fokussierung auf individuelle Medienkompetenz entlastet Politik und Tech-Konzerne, ohne deren Verantwortung für Desinformation anzuprangern. Dennoch liefert das Gespräch eine nüchterne Gegenrede zur Hysterie-Debatte und zeigt auf, dass die Gefahr weniger in perfekten Fakes als in gesellschaftlicher Anfälligkeit liegt – eine Erkenntnis, die sich auch für andere Desinformationsthemen übertragen lässt.
Hörempfehlung: Wer sich für eine besonnene, historisch informierte Abhandlung über Deepfakes ohne Katastrophen-Pathos interessiert, findet hier eine kompakte Einführung.