Wissenschaft auf die Ohren: Planetare Grenzen, Kipppunkte, Wissenschaftskommunikation (Erde und Umwelt)
Erste Folge des Helmholtz-Podcasts „Erde und Umwelt“ über planetare Grenzen, soziale Gerechtigkeit und den schmalen Grat zwischen Wissenschaft und Politik.
Wissenschaft auf die Ohren
55 min read3318 min audioDer erste Podcast "Erde und Umwelt" der Helmholtz-Gemeinschaft führt Moderator Holger Klein mit Katrin Böhning-Gaese, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Leipziger UFZ, ein Gespräch über planetare Grenzen, Kipppunkte und die Herausforderung, gesellschaftliche Transformationen sozial gerecht zu gestalten. Die 55-minütige Folge wirkt wie ein aufgezeichnetes Expertengespräch mit journalistischem Anspruch, bleibt aber stilistisch nah an einem freundlichen, fast privaten Dialog.
### 1. Sechs von neun planetaren Grenzen seien bereits überschritten – ohne spürbare Konsequenzen
"Wir haben das gar nicht gemerkt, dass wir über diese sechs … Grenzen eigentlich schon drüber sind." Die Metapher vom Kipp-punkt verliere an Kraft, weil die Gesellschaft die Überschreitung nicht wahrnehme.
### 2. Die Politik wisse zwar, was zu tun sei, scheue aber unpopuläre Schritte
"Ich habe sehr viele Politikerinnen und Politiker erlebt, die … ganz genau wissen und eigentlich auch in Teilen ihrer Seele den Wunsch haben, das zu verbessern, aber eben wissen, dass es politisch nicht umsetzbar ist."
### 3. Fleischkonsum als zentrales Konfliktfeld zwischen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit
Eine moderate Reduktion auf 300 g pro Woche und Fokus auf Weidehaltung könne Biodiversität erhalten. "Wenn jetzt Fleisch teurer wird … trifft das Menschen mit den schmalen Geldbeuteln."
### 4. Wissenschaft kommuniziere zu lange nur Probleme, zu wenig Lösungen
"Wir haben … zu viel auf die Probleme hingewiesen, ohne mit gleichem Aufwand … Lösungen anzubieten." Forschung solle stärker erforschen, wie Klimaschutz sozial gerecht und gesellschaftlich akzeptabel gestaltet werden kann.
### 5. Runde Tische und Museen als Brücken zu „schwer erreichbaren“ Bevölkerungsgruppen
Böhning-Gaese lobt regionale Museen und Zoos als „neutrale Plattformen", die über alle Milieus hinweg Vertrauen genießen und so auch Menschen erreichen, die sonst nicht an Diskussionen teilnehmen.
### 6. Biodiversitätsverlust werde langfristig gefährlicher als Klimawandel sein
"Beim Erhalt der Artenvielfalt geht’s drum, ob wir in Zukunft als Menschheit überleben."
## Einordnung
Die Folge besticht durch Offenheit: Klein stellt unbequeme Fragen, lässt Expertise aber nie in Belehrung umschlagen. Die Sprecher:innen reflektieren selbstkritisch, warum wissenschaftliche Erkenntnisse nicht automatisch zu politischem Handeln führen. Besonders bemerkenswert ist die Anerkennung sozialer Gerechtigkeit als zentraler Erfolgsfaktor – etwa wenn es um Verteilungswirkungen von Fleischpreiserhöhungen geht. Gleichzeitig bleiben strukturelle Machtfragen (z. B. Lobbyeinfluss der Fleischindustrie) eher implizit. Die Perspektive des globalen Südens taucht nur kurz auf und bleibt unterentwickelt. Insgesamt ein respektvoller, sachlicher Diskurs, der ohne Panikmache Lust auf weitere Folgen macht.