Víðsjá: Ertu búinn að vera að reyna að ná í mig, Dublin Fringe, Ráðskonur
Kulturpodcast über neue isländische Oper, Dublin Fringe Festival und historische Hauswirtschafterinnen
Víðsjá
39 min read3116 min audioDer isländische Kulturpodcast "Víðsjá" widmet sich in dieser Folge der Premiere der neuen Oper "Ertu búinn að vera að reyna að ná í mig" ("Hast du versucht, mich zu erreichen?") von Guðmundur Steinn Gunnarsson, die während der Óperudagar (Operntage) in Reykjavík aufgeführt wird. Im Gespräch mit der Moderatorin Halla Harðardóttir erläutern Komponist Guðmundur Steinn und Sängerin Heiða Árnadóttir die Entstehung des Werks, in dem Heiða allein auf der Bühne steht und mehrere Figuren verkörpert, die mit elektronischen Klängen interagieren. Das Stück untersucht, ob zwischenmenschliche Kommunikation überhaupt möglich sei, so Guðmundur Steinn. Die Sendung enthält zudem einen Bericht der Theaterkritikerin Katla Ársælsdóttir über die Dublin Fringe Festival mit ihren Fokus auf provokante, innovative Bühnenwerke junger Künstler:innen sowie einen historischen Beitrag über isländische Hauswirtschafterinnen außerhalb von Bauernhöfen im 18. und 19. Jahrhundert.
### Die Oper als experimentelle Kommunikationsforschung
Guðmundur Steinn beschreibt seine Oper als eine 45-minütige Klangreise, in der Heiða mehrere Charaktere verkörpert, die "um das Hauptrolle innerhalb von sich selbst ringen". Das Werk sei eine "Untersuchung", ob Menschen überhaupt miteinander kommunizieren könnten. Die elektronischen Klänge würden dabei bewusst über kleine, charaktervolle Lautsprecher erzeugt, die mit Heiðas Stimme "ein Gespräch führen".
### Heiðas Vielstimmigkeit als künstlerische Kernkomponente
Heiða Árnadóttir erläutert, wie sie mit In-Ears und elektronischen Noten live zwischen verschiedenen Stimmregistern und Charakteren wechsle. Guðmundur Steinn habe ihre Stimme "forscht" und die Partien so komponiert, dass sie von Jazz-Stimme bis großer Opernstimme alle Facetten ausprobiere. Die schnellen Wechsel seien "herausfordernd", aber auch "extrem spannend".
### Die Regiearbeit von Sigríður Ásta als Verdichtung
Die Regisseurin Sigríður Ásta Olgeirsdóttir habe durch ihre Choreographien das Werk "viel tiefer" gemacht, weil sie als erfahrene Theatermacherin das innere Drama der Figuren sichtbar mache. Ohne ihre Mitwirkung wäre es ein "anderes Werk".
### Historische Hauswirtschafterinnen als Vorläuferinnen moderner Dienstleistungsarbeit
Der Historiker Dalrún Kaldakvísl rekonstruiert in ihrem Beitrag die vielfältigen Arbeitsbereiche von Hauswirtschafterinnen außerhalb von Bauernhöfen: von Milchproduktionsstationen über Fischerei-Außenposten bis zu mobilen Feldküchen. Diese Frauen hätten oft bessere Bezahlung und mehr Selbstständigkeit erhalten als Hausangestellte in Privathaushalten, aber auch mit schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen gekämpft.
### Dublin Fringe Festival als Spiegel gesellschaftlicher Debatten
Katla Ársælsdóttir berichtet, wie das Festival mit Werken wie "I would like to speak to your manager" und "Am I the asshole" aktuelle gesellschaftliche Konflikte rund um Gender, Macht und Kommunikation aufgreife. Besonders die interaktive Gerichtsverhandlung, bei der das Publikum entscheiden muss, wer "der Depp" ist, zeige die Komplexität moderner Moralvorstellungen.
### Die feministische Perspektive auf das Karen-Phänomen
Das Solo-Stück über die Figur der "Karen" analysiert, wie Mittelaltersfrauen, die sich beschweren, oft abgestempelt werden. Die Künstlerin Holly Hughes hinterfrage, ob hinter diesem Phänomen nicht auch eine berechtigte Kritik an Machtstrukturen stecke – ein Diskurs, der in der Sendung kontrovers diskutiert wird.
## Einordnung
Der Podcast lebt von seiner Offenheit für verschiedene Kulturformate und seiner Fähigkeit, scheinbar separate Themen – zeitgenössische Oper, Fringe-Theater und historische Arbeitsforschung – zu einem kohärenten Bild gegenwärtiger kultureller und gesellschaftlicher Fragen zusammenzubringen. Besonders gelungen ist die Balance zwischen künstlerischer Tiefe und zugänglicher Vermittlung: Die Gespräche mit Guðmundur Steinn und Heiða vermitteln anschaulich, wie experimentelle Musiktheaterformen funktionieren, ohne zu technisch zu werden. Die historische Hauswirtschafterinnen-Episode stellt mühsam recherchiertes Wissen über bisher vernachlässigte Frauengruppen vor, ohne akademisch zu klingen. Kritisch anzumerken ist, dass die Sendung in ihrer Kunstberichterstattung fast ausschließlich etablierte, weiße isländische Künstler:innen porträtiert – internationale oder marginalisierte Perspektiven fehlen. Die Moderation bleibt professionell und interviewt ohne Selbstinszenierung, wobei die Fragen manchmal sehr offen formuliert sind und so den Eindruck entstehen lässt, die Künstler:innen würden sich selbst erklären. Für Kulturinteressierte bietet die Episode einen spannenden Einblick in die aktuelle isländische Szene und ihre historischen Wurzeln.