Berlin Code – mit Linda Zervakis: Energie, Emotionen und Kanzlertränen
Berlin Code analysiert Merz’ emotionale Gedenkrede und Reiche’ sturen Stil – ein Streit um Kosten statt Klima in der Energiewende.
Berlin Code – mit Linda Zervakis
40 min read2176 min audioDer ARD-Politikpodcast „Berlin Code“ (moderiert von Selly Kahya statt Linda Zervakis) diskutiert mit den Korrespondent:innen Kerstin Palzer (CDU/CSU) und Martin Polansky (Wirtschaft/Energie) zwei Personen und Stile: Kanzler Friedrich Merz’ Tränen bei einer Holocaust-Gedenkrede in München sowie Wirtschaftsministerin Katharina Reiche als „Roboter“, weil sie sich medial zurückhält und als Kontrollfreak gilt. Das Gespräch fokussiert auf die Frage, wie viel Emotion in Politik erlaubt ist und wie Reiche die Energiewende „effizienter“ und kostengünstiger machen will – unter anderem durch weniger Subventionen für Dach-Solar, neue Gaskraftwerke und gesenkte Strombedarfsprognosen. Die Bundesregierung priorisiert offenbar Wirtschaftlichkeit vor Tempo beim Klimaschutz, was Kritik von Fridays for Future und Umweltverbänden als „Sabotage“ und mögliche „Reiche-Delle“ nach der früheren „Altmaier-Delle" einbringt.
### Merz’ Gefühlsausbruch als politische Ressource
Die Runde ist sich einig, dass Merz’ Gefühlsausbruch authentisch war. Palzer verortet ihn in seiner Biographie: Der Kanzler habe keine jüdischen Wurzeln, die Shoa gehe ihm aber „unter die Haut". Polansky ergänzt, dass dieses Bild einem CDU-Kanzler, der als „Mister BlackRock“ und scharfer Strateg gilt, gut ankomme – Tränen seien in anderen Kontexten (etwa bei häufigem Weinen oder bei einer Kanzlerin) eher verpönt. Beide sehen eine forcierte Emotionalisierung der Politik durch Soziale Medien und Populismus, fordern aber ein „dosiertes" Verhältnis zwischen Ratio und Gefühl.
### Reiche: Kompetenz vs. Kommunikationsversagen
Reiche gelte selbst unter Journalist:innen als „Roboter“: abgekapselt, perfektionistisch, kaum spontane Auftritte. Die Korrespondent:innen erinnern sich an eine Sommerreise, bei der sie Journalist:innen mied, in Pumps durch Fabrikhallen ging und nur „mit wenig Charm" aufwartete. Trotzdem betonen sie ihre Fachkompetenz und Erfahrung in der Energiewirtschaft. Polansky beschreibt sie als „Panzer“, der Zweifel an staatlicher Förderung äußere, wo der Markt längst laufe – etwa bei Dach-Solar. Die Ministerin verfolge eine klare Agenda: Kosten und Versorgungssicherheit vor Klimaschutz, Netzausbau bremsen, wenn der Strombedarf sinken soll.
### Kurskorrektur mit Folgen für Ausbau und Klima
Ein vom Ministerium in Auftrag gegebener Monitoringbericht bescheinigt der Energiewende Fortschritt, mahnt aber Effizienz an. Reiche nutzt ihn, um das Fördern privater Solardächer infrage zu stellen und neue Gaskraftwerke als steuerbare Stromreserve anzukündigen. Sie prognostiziert 2030 einen niedrigeren Strombedarf und will Milliarden beim Netzausbau sparen. Kritiker:innen warnen, dass ohne Subventionen der Ausbau von Photovoltaik und Wind einbrechen könne; Umweltverbände und Fridays for Future sprechen von „Sabotage" an der Klimaneutralität 2045.
### Kommunikationsdebakel statt Leitbild
Die Ministerin habe sich nach Monaten der Zurückhaltung mit Interviews und einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz „verspätet" an die Öffentlichkeit gewagt, bemängeln die Korrespondent:innen. Der Bericht sei nicht vorab verteilt, Journalist:innen könnten sich kaum vorbereiten. Diese „Abwehr-Strategie" erschwere es, komplexe Energiethemen zu vermitteln und lasse Interpretationen offen. Sie attestieren Reiche, sie kommuniziere eher für Insider:innen als für die breite Öffentlichkeit – ein Risiko im politischen Machtzentrum.
## Einordnung
Der Podcast wirkt wie ein strategischer Blick hinter die Kulissen: Er lotet, welches Rollenbild in Berlin gerade Sache ist – der gefühlvolle Machtmann oder die nüchterne Managerin. Die ARD-Leute bleiben journalistisch neutral, liefern aber durchaus Wertungen ("authentisch", "Kontrollfreak", "unglücklich"). Interessant: Kritik an Merz’ Waffen-Position zu Israel wird nur als interne CDU-Reibung erwähnt; tiefergehende Expert:innen oder Betroffene kommen nicht zu Wort. Gleiches gilt für Energiefragen: Umwelt- und Klimawissenschaftler:innen fehlen, Kritik von Fridays for Future wird zitiert, aber nicht weiter hinterfragt. So entsteht ein lebendiges, doch eingeschränktes Bild – unterhaltsam, mit Insider-Atmosphäre, aber ohne externe Perspektiven. Die Diskussion bleibt letztlich eine Berliner Selbstverständigung darüber, wie viel Menschlichkeit und wie viel Steuerung nötig sind – ohne das Spannungsfeld zur europäischen oder globalen Dimension der Klimakrise auszuloten.