Der Deutschlandfunk-Podcast „Hintergrund“ widmet sich in der Folge „Gaza damals und heute. Palästinenser erzählen“ ausschließlich der Perspektive palästinensischer Zivilist:innen auf die Ereignisse seit dem 7. Oktober 2023. Reporter Julio Segador führt durch zwölf monologische Interviews mit jungen und alten Menschen aus dem Gazastreifen, die von ihrem Alltag vor dem Krieg, dem Moment des Angriffs, der israelischen Gegenoffensive und den Folgen berichten. Die Redaktion verzichtet auf politische Kommentare oder Experteninterviews; stattdessen stehen persönliche Schicksale im Mittelpunkt. Die Erzählungen werden durch Datenjournalismus ergänzt: Satellitenanalysen belegen, dass 70 % aller Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört seien, in städtischen Gebieten sogar 85 %. Die Sendung endet mit der Frage, ob die Betroffenen nach dem Waffenstillstand bleiben oder auswandern wollen – die Antworten fallen unterschiedlich aus. ### Die Blockade habe trotz allem ein „einfaches, aber erfülltes Leben“ ermöglicht Die jungen Palästinenser erinnern sich, dass es vor dem 7. Oktober 2023 trotz Belagerung ein „gutes“ Leben gegeben habe. Hamza Mahmoud Barbak sagt durch den Dolmetscher: „Wir sagten immer, wir hätten besser gelebt als der Rest der Welt, trotz der Belagerung des Gazastreifens.“ Der Begriff „besser“ beziehe sich dabei auf das Gemeinschaftsgefühl und die Hoffnung, nicht auf materiellen Reichtum. ### Die Hamas-Ansage sei als „Tsunami“-Signal verstanden worden ARD-Mitarbeiter Mohammed Abu Seif berichtet, dass er sofort nach der Audio-Botschaft von Mohammed Deif gewusst habe, „dass die israelische Reaktion unglaublich hart werden“ würde. Er habe sich vor der bevorstehenden Eskalation „erschaudern“ lassen – eine emotionale Reaktion, die im Podcast ohne weitere Einordnung stehen bleibt. ### Israelische Angriffe hätten „wie auf einem Schachbrett“ Zivilist:innen umhergeschoben Der Erzähler beschreibt die israelische Strategie, Menschen in vermeintlich sichere Zonen zu drängen, wobei „Beweise dafür gibt es kaum“, dass dort tatsächlich militärische Infrastruktur der Hamas stehe. Ibrahim Al-Hamidi sagt: „Wir haben keine Verbindung zu einer Organisation, wir sind Zivilisten.“ Die Formulierung „wie auf einem Schachbrett“ verdeutliche die Entmenschlichung der Betroffenen. ### Die Trümmerlast entspreche dreizehn Pyramiden von Gizeh UNDP-Vertreter Yacoub El Ail quantifiziert die Schuttmasse auf 55 Millionen Tonnen – ein Bild, das die Dimension der Zerstörung für deutsche Hörer:innen anschaulich macht. Die Redaktion wiederholt diese Metapher, ohne sie zu hinterfragen oder weitere Kontexte zur Rekonstruktion zu liefern. ### Junge Menschen debattieren, ob Patriotismus lohnt Während Hamza Mahmoud Barbak seine „besondere Verbindung“ zum Land bewahren will, sagt Madleen Zawah Abu Saif: „Ich werde mindestens 10 Jahre brauchen“ für einen Neuanfang im Gazastreifen. Die Sendung zeigt, dass selbst unter Betroffenen kein Konsens darüber besteht, ob Auswanderung Verrat oder Selbstschutz sei. ### Die Zukunftsregierung solle „weder Hamas noch Fatah“ sein Der pensionierte Lehrer Abed Al-Rahman formuliert eine populäre Forderung nach einer Technokratenregierung: „Wir wollen rationale Menschen, Menschen ohne Probleme.“ Der Podcast lässt diese Aussage ohne Gegenstimme stehen und vermittelt so den Eindruck, dass eine politische Neuordnung von Zivilgesellschaft allein möglich sei. ## Einordnung Die Sendung wählt bewusst eine einseitige Perspektive: Es geht ausschließlich um Leid und Zerstörung aus Sicht palästinensischer Zivilist:innen. Israelische Stimmen fehlen vollständig, ebenso politische Analysen zur Hamas oder zur israelischen Regierung. Diese Reduktion ist journalistisch konsequent, birgt aber das Risiko, den Konflikt zu entmilitarisieren und die Verantwortlichkeiten zu verwischen. Die starke Fokussierung auf individuelle Schicksale erzeugt Nähe, verzichtet jedoch auf historische Einordnung oder Recherche zu den vorausgehenden Eskalationen. Besonders bemerkenswert ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Redaktion Daten von „Vertical 52“ übernimmt, ohne die Methodik oder Finanzierung des Analyseunternehmens zu hinterfragen. Der Podcast inszeniert sich als reine Zeugenschaft; kritische Nachfragen oder Kontexte bleiben aus. Dadurch wird Leid authentisch hörbar, aber politische Komplexität ausgeblendet.