Der isländische Kulturpodcast "Víðsjá" widmet sich in dieser Folge der 90. Geburtst des estnischen Komponisten Arvo Pärt, der für seine minimalistische, spirituelle Klangsprache weltweit verehrt wird. Im Fokus stehen zudem zwei Ausstellungen, die sich mit der Natur in der zeitgenössischen isländischen Kunst auseinandersetzen: eine Retrospektive der Künstlerin Rúrí und eine Präsentation der "Erdfarben"-Gemälde von Kristján Steingrímur. Moderiert wird die Sendung von Halla Harðardóttir und Melkorka Ólafsdóttir. ### 1. Arvo Pärt gilt als "meistgespielter lebender Komponist" Die Künstler:innen des Kammerchors Cantok Ensemble berichten, dass Pärts Werke trotz scheinbarer Einfachheit "die schwierigste Musik" seien, die sie singen. Sie beschreiben die Probenarbeit als meditative Herausforderung, bei der "nichts schiefgehen" dürfe, um die fragile Schönheit der Stücke zur Geltung zu bringen. ### 2. Pärts "Tintinnabuli"-Stil entstand nach achtjähriger Schaffenspause Nach dem Verbot seines religiösen Werks "Credo" durch die sowjetische Zensur 1968 verstummte Pärt für acht Jahre, studierte mittelalterliche Kirchenmusik und entwickelte seine charakteristische Technik, die nur zwei Stimmen kombiniert: eine melodische und eine, die sich auf die Tonika, Mediante und Dominante beschränkt. Er selbst bezeichnete diesen Schritt als "neues Blatt" in seinem Leben. ### 3. Rúrís Naturarbeiten verschmelzen Konzeptkunst und persönliche Hingabe Die Künstlerin kombiniert analytische Elemente der Conceptual Art (Wiederholung, klare Präsentation, Text-Bild-Bezüge) mit einer offenbar tiefen emotionalen Verbundenheit zur Natur. Ihre Gedichte und Performances thematisieren z. B. Regenbogen oder Vogelstimmen und vermitteln gleichzeitig ein politisches Bewusstsein für Umweltzerstörung. ### 4. Kristján Steingrímur malt Landschaften mit selbst hergestellten Erdpigmenten Der Maler reist durch Island, sammelt Bodenproben und lässt daraus individuelle Farbmittel herstellen. Auf seinen Leinwänden erscheinen abstrakte Farbfelder, deren Pigmente exakt auf die Herkunftsorte (z. B. Seiðishólar, Borgarfjörður Eystri) gekennzeichnet sind – eine künstlerische Praxis, die an die Land-Art-Tradition erinnert, aber im Bildformat verharrt. ### 5. Die Ausstellungen spiegeln den Wandel im Naturverhältnis der isländischen Kunst Wurde die Natur im 19. Jh. noch als romantische Kulisse oder Symbol nationaler Identität bemalt, positionieren sich zeitgenössische Künstler:innen seit den 1960er-Jahren kritisch: Sie nutzen Natur nicht nur als Motiv, sondern als Material, forschen ihre ökologischen Bedingungen und thematisieren deren Zerstörung. ## Einordnung Die Sendung arbeitet mit einem gemächlichen, essayistischen Ton, der dem Hörer Raum zur Kontemplation gibt – passend zu Pärts Musik wie zur Naturkunst. Die Moderatorinnen verzichten auf dramatische Effekte, stellen aber gezielt offene Fragen, die die Interviewten zu persönlichen Anekdoten und Reflexionen anregen. Besonders gelungen ist die Verbindung von Biografie und Werk: Pärts Lebensstationen (sowjetische Zensur, Exil, spirituelle Wende) werden nicht isoliert erzählt, sondern direkt mit seiner Klangsprache verknüpft. Auch die Kunstkritik übernimmt keine wertende Sonderrolle, sondern integriert sich als subjektive, aber informierte Stimme. Kritisch anzumerken ist, dass wirtschaftliche oder institutionelle Rahmenbedingungen der Kulturproduktion (z. B. Förderstrukturen, Galerieinteressen) kaum thematisiert werden; die Kunst erscheint vornehmlich als autonome Schöpfung. Gleichzeitig gelingt es dem Format, unterschiedliche Generationen und Genders ausgewogen zu Wort kommen zu lassen – weder wird die ältere Künstlerin Rúrí zur Ikone erhoben, noch der jüngere Kristján als Avantgarde gefeiert. Insgesamt liefert der Podcast eine ruhige, kenntnisreiche Klangcollage, die Lust macht, die besprochenen Werke selbst zu erleben.