Der Politikpodcast: Drohnen über Polen - Putins doppelter Test #443
Der Politikpodcast analysiert, warum Deutschlands Antwort auf den ersten großen Drohnen-Angriff Russlands auf NATO-Gebiet von Wahlkampf-Angst und Sanktionsblockaden bestimmt wird.
Der Politikpodcast
51 min read2950 min audioDer Deutschlandfunk-Politikpodcast diskutiert den bislang beispiellosen Vorfall, bei dem 19 russische Drohnen in den polnischen Luftraum eindrangen. Die Korrespondent:innen Peter Sawitzki (Warschau), Klaus Remme (Brüssel) und Steffen Wurzel (Berlin) analysieren die militärischen Abläufe, die politischen Reaktionen in Deutschland, Polen, NATO und EU sowie die widersprüchliche Sanktions- und Unterstützungspolitik des Westens. Die Gesprächspartner:innen werfen einen kritischen Blick auf die zögerliche deutsche Debatte, die Spaltung innerhalb der NATO und die Rolle von Desinformation.
### 1. Erste Abschüsse russischer Drohnen über NATO-Gebiet seit 1945
Polens Armee habe erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg russische Flugobjekte über NATO-Territorium abgeschossen, berichtet Peter Sawitzki. Die Regierung in Warschau spreche von 19 Drohnen, teils gestartet von der Krim, teils aus der belarussischen Grenzregion. Der Vorstoß sei „völlig inakzeptabel“ (Donald Tusk) und stelle die Grenzen „üblicher Provokationen“ infrage. Die meisten Drohnen seien durch Störmaßnahmen oder Treibstoffmangel abgestürzt, drei bis vier durch Kampfjets der polnischen und niederländischen Luftwaffe zerstört worden.
### 2. NATO-Reaktion: Lob trotz spärlicher Öffentlichkeitsarbeit
Klaus Remme stellt fest, dass NATO-Generalsekretär Mark Rutte die Abschussbilanz lobte („absolutely reckless“), obwohl die öffentliche Kommunikation des Bündnisses „sehr spärlich“ ausgefallen sei. Der Oberbefehlshaber habe klargestellt, dass die Piloten präautorisiert seien und ihn niemand extra anrufen müsse: „By the time they get me on the phone, the fight will be over.“ Die militärische Reaktion gelte als gelungen, doch fehle eine einheitliche politische Antwort.
### 3. Deutsche Debatte: Angst vor „eigener Courage“
In Berlin herrsche „Angst vor der eigenen Courage“, sagt Steffen Wurzel. Die Bundesregierung erhöhe zwar die Zahl der Eurofighter im Air-Policing von zwei auf vier, doch seien konkrete Eskalationsschrite wie Taurus-Lieferungen oder gemeinsame Flugabwehr über der Westukraine weiter blockiert. Innenpolitische Termine (Kommunalwahl NRW, künftige Landtagswahlen) würden Entscheidungen dominieren. Selbst der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses fordere, russische Drohnen bereits über Ukraine abzufangen – eine Operation, die einen Bundestagsmandat bräuchte, das derzeit nicht mehrheitsfähig sei.
### 4. Hybrid-Kampagnen: Russische Desinformation soll polnisch-ukrainische Solidarität schwächen
Parallel zum Drohnenangriff seien laut polnischen Medien rund 200.000 anti-ukrainische oder pro-russische Posts in sozialen Netzwerken aufgetaucht. Die Kampagne nutze historische Streitthemen (Massaker von Wolhynien) und wahlkampfbedingte Zurückhaltung im Westen, um Spaltung zu fördern. Mehr als 50 % der Pol:innen lehnen laut Umfragen inzwischen einen künftigen NATO-Beitritt der Ukraine ab – ein deutlicher Stimmungswandel.
### 5. Sanktions-Dilemma: EU-19. Paket steht, Energieflüsse laufen weiter
Trotz 18 vorangegangener Sanktionsrunden fließe russisches Öl und LNG weiter in die EU, monieren die Korrespondent:innen. Ein neues Paket stoße an die Grenzen der Einstimmigkeit; Ungarn und die Slowakei blockierten härtere Sekundärsanktionen. Die Diskussion verdeutliche, dass die Ukraine-Kriegskasse Moskaus über Energieexporte weiter gefüllt werde, während westliche Länder gleichzeitig Milliarden für ukrainische Luftabwehr ausgeben.
### 6. Ukraine als Lehrmeister: Westen profitiert von Drohnen- und Abwehr-Know-how
Die Ukraine liefere nicht nur Empfänger, sondern auch Expertise, heben die Journalist:innen hervor. Deutsche Rüstungsfirmen würden in der Ukraine produzieren lassen; ukrainische „Billig-Abwehrdrohnen“ stießen bei europäischen Firmen auf steigendes Interesse. Der Westen könne lernen, wie man kostengünstig Drohnen abfange – etwa mit modifizierten Gepard-Panzern oder mit Maschinengewehr-Teams auf Pick-ups.