analyse & kritik: Warum knallt es immer in Frankreich?
Ein Gespräch über Frankreichs Protestkultur von den Gelbwesten bis „Bloquant tout“ und die Schwierigkeiten linker Bündnisse.
analyse & kritik
43 min read2269 min audioGina spricht mit dem Journalisten John Malamatinas über die aktuelle Protestkultur in Frankreich. Sie diskutieren, warum das Land eine so lange Tradition von Aufständen hat – von der Revolution bis zu den Gelbwesten und den jüngsten Protesten gegen Sparpläne. Malamatinas beschreibt die Rolle von digitaler Selbstorganisation, Spannungen innerhalb der Linken und die Herausforderung, neue Bündnisse zwischen Gewerkschaften, autonomen Gruppen und breiter Bevölkerung zu schmieden. Er betont, dass Bewegungen wie „Blockieren wir alles“ (Bloquant tout) zwar vielfältige Potenziale bergen, aber noch keine klare Strategie für langfristige Veränderungen bieten.
### 1. Frankreichs Protestkultur basiert auf historischen Erfahrungen
Malamatinas erklärt, dass sich Aufstände seit der Revolution professionalisiert hätten: „Die Herrschenden müssen immer gestürzt werden.“ Die zentrale Lage von Paris und das individuelle Streikrecht trügen dazu bei, dass Konflikte schnell eskalieren.
### 2. Gelbwesten-Bewegung veränderte seine politische Sichtweise
Die unüberschaubare Mischung aus ländlicher und städtischer Protestierender habe ihn überrascht: „Die Linke ist meistens überrascht von einem Tag zum anderen und meistens diesen Bewegungen hinterherhinkt.“
### 3. Digitale Netzwerke ermöglichen spontane Landweite Blockaden
Die Initiative „Bloquant tout“ startete online, organisierte sich über Telegram/WhatsApp und forderte ein „Blockieren wir alles“-Motto. Die Polizei reagierte proaktiv mit 80 000 Beamten gegen weniger als 100 000 Demonstranten.
### 4. Repression beeinfluskt die Entwicklung neuer Aktionsformen
Die neue Motorrad-Einheit BRAV-M wird als „holiganistisch“ beschrieben; gleichzeitig entwickelten Aktivisten den „Cortège de tête“, um sich vor Polizeikesseln zu schützen.
### 5. Linke Spaltung zwischen parlamentarischem und autonomen Ansatz
Malamatinas kritisiert, dass „La France insoumise“ Bewegungen zwar unterstützt, aber teils deren Radikalität dämpfe. Eine dauerhafte Allianz aus Basisgewerkschaften und autonomen Gruppen stehe noch aus.
### 6. Perspektive: Neue globale Protestzyklen lernen voneinander
Von „One Piece“-Flaggen bis zu Blockaden in Italien zeige sich: „Die Leute lernen voneinander.“ Deutschen Linken empfiehlt er, ländliche Milieus ernst zu nehmen, bevor Rechte diese Themen besetzen.
## Einordnung
Der AK-Podcast liefert hier keinen klassischen Journalismus mit Gegendarstellung oder Experten-Check, sondern ein Gespräch unter Linken für Linke. Malamatinas berichtet subjektiv und teils impressionistisch über seine eigenen Erlebnisse; harte Fakten (z. B. genaue Sparvolumen, Zahlen zu Polizeieinsätzen) bleiben unverifiziert. Das ist im Selbstverständnis des Senders explizit erlaubt, kann aber für Außenstehende irritierend sein: Verschwörungstheorien (etwa zu „Freimaurern“) werden erwähnt, aber nicht weiter hinterfragt; militante Aktionen werden beschrieben, ohne juristische oder ethische Einordnung. Positiv: Der Podcast räumt mit dem Mythos auf, Frankreichs Proteste seien bloß „romantisch“, und zeigt strukturelle Gründe für deren Eskalationsdynamik. Er offenbart auch die Defizite linker Organisationsstrategien – etwa dass digitale Netzwerke zwar schnell mobilisieren, aber nachhaltige Strategien fehlen. Kritisch: Es fehlen Gäste aus anderen politischen Lagern oder unabhängige Expertise; so bleibt die Analyse in der linken Blase. Für Hörer:innen, die sich für soziale Bewegungen interessieren, lohnt sich die Folge als Stimmungsbild, nicht jedoch als belastbare Analyse französischer Politik.