RONZHEIMER.: Trumps Putin-Brief an die Welt / SPD vor dem Moment der Wahrheit
Journalist Paul Ronzheimer analysiert, warum Trumps Sanktionsforderungen an die Nato kaum realisierbar sind und welche Folgen das für die Ukraine-Hilfe und die NRW-Kommunalwahlen haben.
RONZHEIMER.
51 min read2284 min audioPaul Ronzheimer und Filipp Piatov diskutieren in der Episode "Donald Trump schreibt einen Brief an die Nato und die ganze Welt" die geopolitischen Folgen von Trumps Forderungen an die Nato: Sanktionen gegen Russland nur, wenn alle Nato-Staaten direkte und indirekte Ölimporte stoppen und gemeinsam 50–100 % Zölle auf China erheben. Ronzheimer hält die Forderung für eine Taktik, um sich selbst einen Ausweg zu schaffen, da Europa weder einheitlich handeln könne noch die Wirtschaftsinteressen (z. B. deutscher China-Exporte) aufgeben werde. Die Europäer blieben trotzdem auf US-Waffenhilfe angewiesen, weshalb sie weiter vorsichtig agieren würden. Im zweiten Teil analysieren sie die NRW-Kommunalwahlen: Die SPD fürchte ein Debakel, die AfD könne in ehemaligen Hochburgen wie Gelsenkirchen starke Ergebnisse erzielen. Ronzheimer sieht die SPD seit Jahren strukturell überfordert, ihre Basis nicht mehr zu repräsentieren und an linken Positionen festzuhalten, die Wähler:innen in der „arbeitenden Mitte“ verlieren lässt. Eine grundlegende Neuaufstellung nach der Wahl hält er für unwahrscheinlich, da die Partei intern zu zersplittert sei.
### Trump nutze das Öl-Thema als Druckmittel – ohne echte Sanktionsbereitschaft
Ronzheimer deutet an, Trump suche mit seinem Brief „einen Ausweg“ aus der endlosen Sanktionsdebatte. Er habe „theoretisch zumindest einen Punkt“, weil Europa weiter indirekt russisches Öl importiere, „aber diese Frage habe ich schon mal gestellt: Warum erst jetzt?“ Die Forderung sei kaum ernst gemeint, da Trump wisse, dass Orban und Fico direkte Importe nicht stoppen würden.
### EU-Einheit als Zielscheibe – ohne gemeinsame Antwort
Die Sprecher:innen benennen das zentrale Problem: „Wer spricht denn eigentlich für Europa?“ Orban und die Slowakei würden direkte Käufe fortsetzen, andere Länder indirekte. Macron erkläre sich zwar zu „enger Koordination“ mit Washington, schließe indirekte Bezüge aber nicht wirklich aus. Ein gemeinsames Öl-Embargo sei „ein Ball, den man vielleicht etwas schwierig zurückspielen kann“.
### China-Zölle: Forderung an die falsche Adresse
Trump verlange von der Nato als Ganzes, 50–100 % Zölle auf China zu erheben – obwohl das Bündnis kein Handelsabkommen verhandle. Ronzheimer kontert: „Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis“; für Zölle sei die EU zuständig, und viele Mitgliedstaaten würden „große Panik“ vor wirtschaftlichen Folgen haben.
### AfD-Vorstoß in NRW: „Ab Montag gibt’s eine andere SPD“ – reine Wunschvorstellung
CDU-Politiker Wolfram Weimer prophezeite, nach einer Wahlniederlage werde die SPD umdenken. Ronzheimer hält das für „Wunschdenken der CDU“. Die Sozialdemokrat:innen hätten „schon so viele Wahlniederlagen eingesteckt“, ohne zu reformieren. Selbst eine Niederlage in Gelsenkirchen werde keine personellen Konsequenzen nach sich ziehen.
### SPD-Basis und Bundespolitik: kein Lernen in der Krise
Die Episode zeigt, wie sehr die Partei zwischen linken Netzwerk-Positionen („Partei der Leistungsempfänger“) und dem Wunsch nach Rückgewinnung der „arbeitenden Mitte“ zerfasst. Kritisiert wird, dass Abgeordnete ihre eigene Basis nicht mehr abbilden und trotz 14 % in Umfragen keine substanzielle Neuaufstellung versuchen.
## Einordnung
Der Podcast folgt dem journalistischen Anspruch des investigativen Außenreporters: klare Fragen, schnelle Einordnungen, persönliche Einschätzungen. Die Diskussion um Trumps Brief offenbart eine nüchterne Machtanalyse: Es geht nicht um Moral, sondern um wirtschaftliche Abhängigkeiten und innereuropäische Blockaden. Dabei bleibt der Fokus auf Versagen oder Zögerlichkeit Europas; die US-Position wird zwar als taktisch entlarvt, aber nicht inhaltlich auf Legitimität geprüft. Beim Thema NRW wird die SPD als strukturell handlungsunfähig gezeichnet – ein Befund, der zwar mit Zitaten von Parteistrategen und eigenen Beobachtungen untermauert wird, aber fast vollständig auf Insider-Perspektiven der Berlin- bzw. Landespolitik beruht. Andere Erklärungsansätze (sozioökonomische Ursachen des AfD-Erfolgs, Rolle der Medien etc.) bleiben ausgespart. Insgesamt liefert die Episode viel Insiderwissen, doch die Analyse bleibt in beiden Themen innerhalb der etablierten Machtdeutungsmuster: Trump als unberechenbarer Deal-Macher, Europa als gespaltenes Bündnis, die SPD als blockierte Traditionspartei. Perspektiven etwa osteuropäischer oder global-südlicher Betroffenheit, aber auch ökologische oder menschenrechtliche Bewertungen der Sanktionsforderungen tauchen nicht auf. Wer sich für die Mechanismen der transatlantischen Sanktionspolitik und die aktuelle Stimmung in der Berliner Koalition interessiert, erhält eine stringente, wenn auch eingeschränkte Analyse. Wer alternative Deutungen oder eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen westlichen Interessen sucht, wird nicht bedient.