netzpolitik.org: Gesundheitsdigitalisierung am Limit: Warum es bei der elektronischen Patientenakte noch immer hakt
Eine kritische Analyse des holprigen Starts der elektronischen Patientenakte in Deutschland, die Sicherheitsrisiken, technische Mängel und fehlende Patient:innenkontrolle beleuchtet.
netzpolitik.org
14 min readDer Newsletter von netzpolitik.org analysiert den bevorstehenden Pflichtstart der elektronischen Patientenakte (ePA) ab dem 1. Oktober und zeichnet das Bild eines Projekts, das von erheblichen Problemen geplagt ist. Trotz der gesetzlichen Verpflichtung für Praxen, Krankenhäuser und Apotheken, die ePA zu nutzen, stockt die Einführung an allen Fronten. Der Text stellt die offiziellen Sicherheitsversprechen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) den Bedenken von Expert:innen wie der Sicherheitsforscherin Bianca Kastl gegenüber. Kastl kritisiert intransparente Anpassungen und fehlende Aufklärung über Restrisiken, nachdem sie wiederholt Sicherheitslücken demonstrieren konnte.
Ein weiteres zentrales Problem ist die technische Umsetzung. Verbände wie der Hausärztinnen- und Hausärzteverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) berichten, dass in vielen Praxen die notwendigen Softwaremodule fehlen oder fehlerhaft sind. Die KBV-Vorständin Sibylle Steiner spricht von einer „vollkommen inakzeptablen Performance“. In den Krankenhäusern sei die Lage laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) noch dramatischer; ein Großteil werde die ePA zum Stichtag nicht vollumfänglich nutzen können. Unklar bleibt, wie konsequent die angedrohten Sanktionen wie Honorarkürzungen umgesetzt werden, wenn die Ursachen bei den Softwareherstellern liegen.
Der dritte und vielleicht gravierendste Kritikpunkt ist die fehlende Akzeptanz und Kontrolle durch die Versicherten. Obwohl für rund 70 Millionen Menschen eine ePA angelegt wurde, nutzen nur etwa drei Prozent diese aktiv über eine App. Der Newsletter argumentiert, dass die ePA in ihrer jetzigen Form kaum Mehrwert für Patient:innen biete. Kritiker:innen wie Manuel Hofmann von der Deutschen Aidshilfe warnen davor, dass sensible Diagnosen für Behandelnde standardmäßig einsehbar sind und eine feingranulare Steuerung der Zugriffsrechte, anders als in früheren Versionen geplant, nicht mehr möglich ist. Hofmann betont die Gefahr der Diskriminierung: „Diskriminierung darf nicht weiterhin als verschmerzbare Nebenwirkung für eine vermeintlich ‚kleine Gruppe‘ in Kauf genommen werden.“ Der Artikel schließt mit der ernüchternden Feststellung, dass die ePA ihr Versprechen einer „versichertengeführten elektronischen Akte“ nicht einlöst.
## Einordnung
Der Newsletter von netzpolitik.org liefert eine fundierte und multiperspektivische Kritik an der Einführung der ePA. Die Argumentation stützt sich auf eine breite Quellenbasis, die offizielle Regierungspositionen systematisch mit den kritischen Stimmen von Sicherheitsforscher:innen, Ärzteverbänden und Patient:innenschutzorganisationen konfrontiert. Dadurch wird ein umfassendes Bild der Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und technischer sowie sozialer Realität gezeichnet. Ausgeblendet bleiben lediglich die Perspektiven der Softwarehersteller oder der Krankenkassen, die für die mangelnde Information der Versicherten mitverantwortlich gemacht werden.
Das Framing des Artikels ist eindeutig: Die ePA wird als ein von oben verordnetes, technokratisches Projekt dargestellt, das die Bedürfnisse und die Sicherheit der zentralen Akteur:innen – der Patient:innen und Ärzt:innen – vernachlässigt. Die implizite Annahme ist, dass eine erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen nur durch Transparenz, Nutzer:innenzentrierung und Datensouveränität gelingen kann. Der Text fördert die Agenda von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die digitale Grundrechte verteidigen, und stärkt die Position jener, die vor einer überhasteten Einführung ohne ausreichende Sicherheits- und Usability-Tests warnen.
Der Artikel ist gesellschaftlich hochrelevant, da er die konkreten Folgen politischer Digitalisierungsstrategien für Millionen von Bürger:innen aufzeigt. Er ist eine klare Leseempfehlung für alle, die eine kritische und gut recherchierte Alternative zu den offiziellen Verlautbarungen der Regierung suchen. Der Text befähigt Leser:innen, die Komplexität und die Fallstricke der ePA-Einführung zu verstehen und sich eine fundierte eigene Meinung zu bilden.
Länge des Newsletters: 13395