Paul Ronzheimer spricht mit SPIEGEL-Rechercheur Roman Lehberger über die Spur des seit 2020 verschwundenen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek, die internationales Recherche-Team (u.a. Christo Grosev) in Moskau, auf dem Kriegsschauplatz Ukraine und in FSB-Zentralen verortet. Lehberger legt detaillert dar, wie Marsalek ab 2014 über eine „Honigfalle-Operation“ rekrutiert, mit mehreren falschen Identitäten (unter anderem russisch-orthodoxe Priester) lebt, für den FSB arbeitet und angeblich an Mord- und Entführungsplänen gegen Journalist:innen beteiligt war. Die Recherche basiert auf Gigabytes russischer Leaks (Handy-Ortungsdaten, Grenzsysteme, Bahnreisende etc.), die die Reporter:innen aus dem Überwachungsstaat „zum Glück“ abgreifen konnten. Kritisiert wird, dass deutsche Behörden trotz vorliegender Hinweise und eines laufenden Münchner Wirecard-Prozesses kaum eigene Ermittlungen vorantreiben – politischer Druck fehle. ### Marsalek sei bereits 2014 vom russischen Geheimdienst rekrutiert worden Laut Lehberger habe man den Vorstand „über eine Liebesbeziehung zu einer Russin, die überhaupt erst die Schnittstelle war“, angeworben. „Das war so eine Art Honigfalle-Operation.“ ### Der Ex-Manager arbeite heute als FSB-Agent mit Büroalltag in Moskau 304 Funkzellen-Einträge zwischen Januar und November 2024 zeigten sein Handy regelmäßig in unmittelbarer Nähe der FSB-Zentrale; Überwachungsfotos „in Anzug und gebügelt“ dokumentierten morgendliche und abendliche Bürozeiten. „Wir können nachweisen, dass er inzwischen wirklich beim FSB vollwertiger Agent ist.“ ### Marsalek habe mit falschen Pässen als russisch-orthodoxer Priester gereist Die Journalist:innen identifizierten zwei echte Pässe, in deren Amtsakten Marsaleks Passfoto eingesetzt sei: „Er ist unterwegs mit dem Zug, gebucht auf diesen Falschpersonalien.“ ### Er sei mindestens zweimal im besetzten Mariupol und an der Front in der Ukraine gewesen Grenzsystem-Datensätze und Fahrten „mit Leuten aus dem Spezialkräfte- und Söldner-Milieu“ belegten Reisen im Herbst 2023. Ein Selfie zeige ihn „in kompletter Kampfmontur … auf einem Schießstand“ mit dem russischen Kriegssymbol „Z“. ### Ein vom FSB gesteuerter Agentenring habe geplant, Journalist Christo Grosev zu entführen oder zu töten Im Londoner Prozess gegen bulgarische Mittelsmänner seien Hunderttausende Chats sichergestellt worden, in denen Entführungs- und Mordpläne für Grosev diskutiert worden seien. Marsalek habe den Ring aus Moskau geleitet. ### Deutsche Behörden unternehmen laut Recherche so gut wie nichts „Es gibt keinen politischen Druck … Die deutschen Dienste arbeiten auf den politischen Willen Berlins hin.“ Ein Auslieferungsversuch sei 2022 im Gefangenaustausch für den Tiergarten-Mörder gescheitert, „aber Russland hat das komplett ignoriert“. ## Einordnung Der Podcast liefert einen spannenden Einblick in hochkarätige Recherche, doch die Machart wirkt bisweilen mehr wie Agenten-Thriller-Unterhaltung denn wie kritische Berichterstattung. Ronzheimer und Lehberger bedienen sich durchweg des Indikativs („er arbeitet“, „er war an der Front“), obwohl viele Details nur über Datenleaks, Recherche-Indizien und anonyme Quellen belegt sind. So beeindruckend das Datenvolumen ist, bleibt die Beweiskette für den Hörer unsichtbar; weder eingescannte Dokumente noch konkrete Quellenhintergründe werden vorgelegt. Besonders auffällig: Die deutschen Sicherheitsbehörden werden pauschal als träge und motivationslos beschrieben, ohne Vertreter:innen zu Wort kommen zu lassen. So entsteht ein leichtes Verschwörungsmuster – „die da oben“ wollen nicht. Kritische Gegenfragen etwa, warum ein Journalisten-Netzwerk besseren Daten-Zugang haben sollte als Staatsdienste, bleiben aus. Der Fokus auf die spektakuläre Story dominiert, während ethische Implikationen (z.B. Datenschutz beim Kauf von Bewegungsprofilen) unerwähnt bleiben. Wer eine rasant erzählte Agentengeschichte mag, ist hier bestens bedient; wer eine nüchterne, quellenkritische Aufarbeitung erwartet, könnte enttäuscht sein.