Wolfgang M. Schmitt junior analysiert in "Kino anders gedacht" Wolfgang Beckers Film "Good Bye, Lenin!" nicht als Nostalgie-Stück, sondern als Frühwarnung über Filterblasen und Fake News. Er zeigt, wie der Sohn Alex seiner Mutter eine utopische DDR inszeniert und dabei selbst zum Propagandisten wird. Die Episode spannt einen Bogen von der DDR-Geschichte zur heutigen personalisierten Medienwelt, in der Algorithmen unsere Wirklichkeit ebenso verengen wie Alex' improvisierte DDR das Leben seiner Mutter. Schmitt nutzt dabei Slavoj Žižeks Psychoanalyse und Eli Parisers Konzept der Filterblase, um die Pointe des Films neu zu entszaubern: Die Mutter lebt nicht in einer echten DDR, sondern in einer besseren Version, die nie existierte – genau wie wir oft nur das sehen, was wir sehen wollen. ### 1 Alex konstruiert eine bessere DDR, die es nie gab Alex erfindet laut Schmitt keine historisch korrekte DDR, sondern „eine bessere. Sie ist eine, in der es keine Republikflüchtlinge mehr gibt, in der die DDR immer stärker wird, in der auch der Sozialismus eine menschliche Seite bekommt.“ Das Lügengebäude ist laut Žižek „ein idealisiertes und von Alex in seinen gefälschten Nachrichten und Sendungen erfundenes DDR-Regime, in dem die DDR offen ihre Grenzen für westdeutsche Flüchtlinge öffnete.“ ### 2 Die Mutter lebt in einer analogen Filterblase Schmitt betont, die Mutter sei „in ihrer Filterbubble gefangen“ und Alex „will ihr vor allem eine Welt bewahren, die es so nie gab.“ Diese Blase funktioniere wie unsere heutigen personalisierten Timelines: „Die Personalisierung des Internets sorgt dafür, dass wir vor allem das sehen, was wir sehen wollen.“ ### 3 Fake News als Liebesdienst Alex werde „zum Produzenten von Fake News, wenn er alte Zeitungen fälscht, wenn er alte Fernsehsendungen selbst produziert, sie selbst einspricht.“ Der Mechanismus gleiche heutiger Desinformation: „Er will sie überzeugen, dass diese Realität die wahre sei. Und diese Überzeugung, das ist ja der Mechanismus von Fake News.“ ### 4 Der Film antizipiere unsere Gegenwart Schmitt sieht im Film eine Vorwegnahme von „unsere Gegenwart, die immer mehr von Fake News und Filterbubbles durchdrungen ist.“ Die Geschichte sei deshalb aktuell, weil „wir heute schützen uns selbst vor der Realität. Wir verweilen in unseren Filterbubbles.“ ### 5 Ostalgie-Debatte greift zu kurz Die Rezeption habe „in diese Richtung bewegt. Man sah in dem Film eine sentimentale Rückschau auf die DDR.“ Doch diese Lesart „greift zu kurz“, da der Film „sich für die Frage nach Alternativen sensibilisiert“ und zeige, „wie der real existierende Sozialismus hätte sein können“. ## Einordnung Schmitt liefert keine klassische Rezension, sondern eine ideologiekritische Kurzschluss-Vorlesung, die den Film als Diagnoseinstrument für unsere hyperpersonalisierte Gegenwart nutzt. Dabei gelingt ihm eine pointierte These: Die Lüge, die Alex seiner Mutter auftischt, ist keine Restauration, sondern eine Utopie – und darin liege die eigentliche Tragik. Die Analyse bleibt jedoch auf der Ebene der Kulturtheorie, ohne die konkreten Machtverhältnisse der DDR oder die Lebensrealitäten der Ostdeutschen einzubeziehen. Indem Schmitt Žižek und Pariser bedient, verortet er den Film in einem akademischen Diskurs, der die komplexe Rezeptionsgeschichte – etwa die tatsächliche Ostalgie-Industrie – ausblendet. Die Episode besticht durch klare Struktur und dichte Argumentation, wirkt aber wie ein geschlossenes System: Es gibt keine Gegenstimmen, keine Filmschaffenden, keine Betroffenen. Die DDR erscheint als Projektionsfläche für theoretische Konzepte, nicht als gelebte Geschichte. Positiv: Schmitt vermeidet billige Ostalgie-Keule und liefert einen anschlussfähigen Medienkritik-Essay. Kritisch: Die historische Komplexität und die Ostdeutschen selbst bleiben stumm.