In der aktuellen Folge von „Die Filmanalyse“ widmet sich Wolfgang M. Schmitt dem Film „Was ist Liebe wert – Materialist“ von Celine Song. Er entlarvt darin die romantische Komödie als postpatriarchalen Kapitalismus-Testfall, in dem Partner:innen wie Anlageobjekte taxiert werden: Körpergröße, Jahreseinkommen und sogar die Knochenlänge fließen in einen kühl kalkulierenden Marktwert ein. Besonders brisant wirkt eine Szene, in der Lucy ihrer Klientin zuruft, ein paar Zentimeter mehr Körpergröße „könnten den Marktwert eines Mannes verdoppeln“ – eine direkte Preis-Leistungs-Rechnung für Menschen. Schmitt zeigt, dass der Film die Logik von Dating-Apps ins Analoge überträgt und dabei die romantische Sehnsucht nicht auslöscht, sondern als prekäres Überbleibsel neben Rendite- und Risiko-Kalkül bestehen lässt. Die Episode endet mit der Mahnung, dass Liebe „nicht domestizierbar“ sei und dass eine Gesellschaft, die nur nach Kosten-Nutzen-Kalkül funktioniert, am Ende „nur sieht, aber nicht schaut“. ### 1. Die RomCom als Marktanalyse: Liebe wird zur Investition Schmitt stellt fest, dass in „Materialist“ jede Begegnung wie ein Börsengang behandelt werde – mit Kennzahlen, Renditeerwartung und Exit-Strategien. Das wäre eine radikale Ökonomisierung des Intimen. ### 2. „Ein paar Zentimeter können den Marktwert verdoppeln“ Dieses direkte Zitat aus dem Film veranschaulicht, wie offen über körperliche Attribute als Preisfaktor gesprochen wird; es entspringe einer „nüchternen Sprache der neoklassischen Wirtschaftslehre“. ### 3. Postpatriarchale Verhandlungen: Machtverhältnisse ohne Patriarchat Die weiblichen Klient:innen verfügten bereits über hohes ökonomisches Kapital, weshalb Männer nun ihrerseits „ästhetisches Kapital“ aufbieten müssten – bis hin zu riskanten Bein-Verlängerungs-OPs. ### 4. Die Restbestände toxischer Männlichkeit Ein Nebenplot zeige eine sexuelle Übergriff-Situation, die auf „urbane Einsamkeit“ und strukturelle Machtasymmetrien verweise; die Agentur werde zur einzigen Unterstützung. ### 5. Liebe als anthropologische Konstante Trotz aller Kalküle bleibe ein „nicht berechenbarer Rest“ übrig – ein romantisches Moment, das sich der reinen Ökonomie widersetze und auf eine ureigene menschliche Leidenschaft verweise. ### 6. Klassenlage und romantische Chancen Am Ende halte Lucy ihrem armen Ex-Freund entgegen, sie wolle „nicht sauer sein, weil er arm ist“. Dieser Satz mache die Klassenzugehörigkeit zum entscheidenden Faktor für Liebesglück. ## Einordnung Die 17-minütige Analyse wirkt wie ein wohldosiertes Marx-Seminar im Pop-Format: Schmitt verzichtet auf erhobenen Zeigefinger, liefert aber eine präzise Gesellschaftskritik, die sich tief in die Logik von Dating-Apps, Marktwerten und kapitalistischen Beziehungen hineinfressen. Besonders bemerkenswert ist, wie er die Perspektive der Betroffenen nicht ausblendet, sondern die Einsamkeit und den Preis-Kampf um Körper und Kapital als postpatriarchale Realität sichtbar macht. Die Episode zeigt eindrücklich, dass Romantik im Neoliberalismus nicht verschwindet, sondern zu einem prekären Gut wird – und genau darin liegt der ideologiekritische Clou. Wer wissen will, wie sehr Dating-Logik unser Denken kolonialisiert hat, sollte diese Folge hören.