IQ - Wissenschaft und Forschung: Neuroathletik - Mit Hirn, Nerv und Muskel zum Erfolg?
Eine ARD-Podcast-Folge zeigt, wie der Hype um Neuroathletik mit fragwürdigen Versprechen punktt – wissenschaftliche Evidenz bleibt auf der Strecke.
IQ - Wissenschaft und Forschung
30 min read1646 min audioDer ARD-Podcast „IQ – Wissenschaft und Forschung“ widmet sich in dieser knapp 27-minütigen Folge dem Hype um „Neuroathletik“: das Training von Gehirn, Nerven und Muskeln durch Reize wie Zungen-Batterie-Kontakt, Augenübungen oder Barfuß-Balance. Sportjournalist Bernd Uwe Gutknecht spricht mit Profi-Rodlerin Tatjana Hüfner, Yogalehrerin Monika Prippfel, dem Weiterbilder Lars Lienhard, dem Sportwissenschaftler Niklas Heimburger und weiteren Praktiker:innen. Zwischen Selbstversuch, Anwender-Statements und wissenschaftlichem Gegenwind zeichnet sich ab: Einige Techniken wirken, der Nachweis fehlt weitgehend, und unkritische Nachahmung birgt Risiken.
### 1. Batterie lecken für 70% mehr Lernzuwachs – ohne Kontrolle
Gina Lückenkemper und Lars Lienhard berichten, dass das Ablecken einer 9-Volt-Batterie die Zunge stimuliere und motorisches Lernen um 70% steigere. Lienhard räumt ein, die wissenschaftliche Apparatur „Pons“ dafür nicht zu besitzen; die Batterie sei ein „Ersatz“. Er warnt zwar vor Nachahmung, die Szene inszeniert das Ritual aber als Leistungsbringer. (Zitat Lienhard: „Und diese Apparatur hatten wir nicht, deshalb haben wir eine 9-Volt Batterie genommen, damit das Lernen schneller geht.“)
### 2. Sportler:innen schwören auf Neuro-Effekte, Evidenz bleibt dürftig
Olympiasiegerin Tatjana Hüfner sagt, Neuroathletik habe ihre Karriere verlängert und die Performance verbessert. Sportwissenschaftler Niklas Heimburger kontert, viele zentrale Behauptungen seien nicht ins Gehirn hinein messbar. Es fehle an belastbaren Studien, die zeigen, dass isolierte Reize (Augen-, Zungen- oder Gleichgewichtsübungen) zu nachweisbaren Leistungssprüngen führen. (Zitat Heimburger: „Die Neuroathletik sagt immer, das und das passiert im Gehirn … Es ist extrem schwierig ins Gehirn reinzuschauen.“)
### 3. Trainierende schließen Augen, um „Input“ zu steigern – Wirkung offen
In Cursen üben Erwachsene Kniebeugen mit geschlossenen Augen oder balancieren auf einem Bein, um propriozeptive Signale zu schärfen. Trainer Paul berichtet von Jugendfußballer:innen, die dadurch „den Körper ganz neu kennenlernen“. Ob diese verbesserte Wahrnehmung zu weniger Verletzungen oder mehr Toren führt, bleibt unbelegt. (Zitat Paul: „Da merken sie plötzlich, oh, das sind Bewegung, die kenne ich so gar nicht.“)
### 4. Kommerzielle Ausbildungsstrukturen profitieren vom Hype
Lars Lienhards „Neuroathletik Institut“ schult bundesweit Trainer:innen in teuren Zertifikatskursen. Der DFB kooperiert mit ihm, was der Methode zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht. Lienhard sieht seine Aufgabe nicht darin, Evidenz zu liefern, sondern „den Menschen auf die Bewegungssituation vorzubereiten“. Die Trennung von kommerzieller Vermarktung und wissenschaftlicher Pflicht wird so ausgehebelt. (Zitat Lienhard: „Aufgabe der Wissenschaft ist es, zu begründen, warum das funktioniert.“)
### 5. Teilbereiche sind evidenzbasiert, doch Verallgemeinerung ist fragwürdig
Myofasziales Klopfen, visuelle Tracking-Übungen oder akustische Signale können je nach Setting kleine Leistungseffekte zeigen; dafür gibt es Studien. Die Sendung lässt diese Differenzierung aber erst spät und ohne klare Abgrenzung auftauchen, sodass Hörer:innen leicht den Eindruck gewinnen, der gesamte Methodenkoffer sei wissenschaftlich gedeckt. (Zitat Heimburger: „Es schadet sicherlich nicht … aber wir sollten jetzt beispielsweise nicht das Beweglichkeitstraining zu ersetzen mit Neuroathletik.“)