Was bisher geschah - Geschichtspodcast: Titanic (2/2) - Frauen und Kinder zuerst!
Minutiöse Rekonstruktion der Titanic-Katastrophe mit Fokus auf menschliche Fehlentscheidungen, Klassenunterschiede und die trügerische Sicherheit von Technik.
Was bisher geschah - Geschichtspodcast
80 min read4345 min audioDer Podcast "Was bisher geschah" widmet sich in dieser zweitenilige der Titanic-Katastrophe. Geschichtsjournalist Joachim Telgenbüscher und Historiker Nils Minkmar rekonstruieren minutiös die letzten Stunden des Schiffs, von der Kollision bis zum Untergang. Sie erzählen etwa von der fatalen Halbleerung der Rettungsboote: "Es gibt zu wenige [Boote], aber immerhin, die muss man ja so gut wie möglich füllen", und zitieren John Jacob Astors berüchtigte Verharmlosung: "Wir sind hier sicherer." Herausgearbeitet wird auch die vermeintliche Heldenpflicht "Frauen und Kinder zuerst", die in Wahrheit nur Tradition, kein Seegesetz war. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Versagen des nahen Dampfers "Californian", dessen Funker nicht geweckt wurde: "Der Kapitän sagt: ›Ja, nehmt mal Kontakt mit der Morselampe auf‹... aber er kommt nicht auf die Idee, seinen Funker zu wecken." Schließlich zeigt sich: fast 500 Plätze in den Booten blieben ungenutzt, während 1500 Menschen im Wasser verzweifelten.
### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt
Die Moderatoren machen deutlich, dass die mangelnde Bootskapazität kein technisches, sondern ein politisch-ökonomisches Problem war: "Es hätte so einfach sein können... aber es brauchte diese Katastrophe, um diesen letzten Lernschritt auszulösen."
### Die Sichtbarmachung von Klassenunterschieden
Die Evakuierung verlief nach Klassengrenzen: Erstklassler:innen hatten direkten Zugang zum Bootsdeck; Drittklassler:innen irrten durch Labyrinthe. Die Quote der Überlebenden fiel von 62 % (Erste Klasse) auf 26 % (Dritte Klasse), ohne dass eine offizielle Sperre existierte.
### Die Macht eines unausgesprochenen Ehrenkodex
Joseph Bruce Ismay, Chef der Reederei, überlebt in einem halbleeren Boot; danach wird er zum „Sündenbock erklärt: „In den Augen vieler hat er sein Leben gerettet, aber seine Ehre verloren." Die Folge: öffentlicher Ruin, Rücktritt, jahrzehntelange Isolation.
### Die trügerische Sicherheit von "Unsinkbarkeit"
Das Label „unsinkbar“ prägte das Selbstverständnis der Passagiere; viele erste Klasse-Reisende verließen das warm erleuchtete Schiff nicht, weil Rettungsboote als gefährlicher galten. Die Geschichte dient damit als Lehrstück für technisches Übervertrauen.
## Einordnung
Der Podcast nutzt ein historisches Ereignis als Spiegel gegenwärtiger Ungleichheit und technischen Selbstüberschätzung. Telgenbüscher und Minkmar durchbrechen dabei gekonnt die Grenze zwischen journalistischer Rekonstruktion und emotionalem Erzählen; sie zitieren Augenzeugen, werten Statistiken aus und räumen mit Mythen auf. Besonders gelungen ist die Selbstreflexion: Immer wieder fragen sie sich (und die Hörer:innen), wie man selbst in Extrem-Situationen reagieren würde – und liefern keine einfachen Antworten. Die Analyse bleibt frei von Verschwörungsideologien, beleuchtet aber strukturelle Probleme (Klassismus, Mängel in der Sicherheitsregulierung) und appelliert an die Zivilgesellschaft, „Bedenkenträger ernst zu nehmen“. Der Ton ist unterhaltsam, ohne seriöse Geschichtswissenschaft aufzuweichen; prominente Filmverweise dienen als Brücke zur Populärkultur, nicht als Belanglosigkeit. Insgesamt ein informatives, empathisches und empfehlenswertes Format.