Der Newsletter "Notes From The Circus" analysiert die These, der politische Haupteffekt von Social Media sei nicht Manipulation, sondern Demokratisierung. Indem elitäre Gatekeeper wegfielen, würden nun authentische, für Liberale unbequeme Überzeugungen sichtbar. Der Autor des Newsletters widerspricht dieser Sichtweise vehement und bezeichnet sie als "gefährlich falsch". Das Kernproblem sei nicht, dass Social Media bereits vorhandene Ignoranz offenlege, sondern dass die auf Aufmerksamkeitsmaximierung ausgerichteten Plattformen die Bedingungen für diese "selbstbewusste Inkompetenz" erst systematisch schaffen. Der Autor spricht vom Zusammenbruch einer "kognitiven Infrastruktur". Algorithmen würden nicht nur Meinungen verstärken, sondern die Fähigkeit zu komplexem Denken und kohärenter Meinungsbildung untergraben. Als Beispiel dient die Unkenntnis von MAGA-Influencer:innen darüber, dass Puertoricaner:innen US-Bürger:innen sind. Dies sei kein Ausdruck einer unterdrückten Volksmeinung, sondern das Ergebnis von Informationsblasen, die Falschaussagen belohnen. "Das Problem ist nicht, dass soziale Medien ihre Ignoranz aufgedeckt haben – es ist, dass die Aufmerksamkeitsdynamik der sozialen Medien ihre Ignoranz überhaupt erst möglich gemacht hat." Zudem kritisiert der Autor, dass die Analyse selbst einem technokratischen Rahmen folgt, der Teil des Problems sei. Dieser Ansatz habe über Jahrzehnte Bürger:innen zu Objekten von Expertenmanagement degradiert. In Kombination mit dem "Optimierungsdenken" der Tech-Industrie, das Diskurse wie Produkte behandelt, sei ein System entstanden, das auf die Extraktion von Aufmerksamkeit statt auf Verständigung ausgelegt ist. Die Krise sei daher die Kollision zweier Kräfte: einer durch Technokratie entmündigten Bevölkerung und Plattformen, die gezielt die für Demokratie notwendigen kognitiven Fähigkeiten zerstören. Länge des Newsletters: 10462 ## Einordnung Der Autor argumentiert aus einer Perspektive, die eine partizipative Demokratie über technokratische Verwaltung stellt. Die zentrale Annahme ist, dass die Architektur von Kommunikationssystemen die Qualität des demokratischen Diskurses fundamental bestimmt. Das Framing verschiebt die Debatte weg von simplen Schuldzuweisungen an Algorithmen oder Populist:innen hin zu einer systemischen Krise der "kognitiven Infrastruktur", verursacht durch eine Allianz aus neoliberaler Effizienzlogik und technokratischer Entfremdung. Dabei werden sozioökonomische Ursachen für politische Unzufriedenheit jedoch kaum berücksichtigt. Die Analyse ist stark auf die USA fokussiert und die Lösungsansätze bleiben abstrakt. Dennoch ist der Newsletter lesenswert für alle, die eine Meta-Analyse der aktuellen politischen und medialen Krise suchen. Er fordert gängige Erklärungsmodelle heraus und liefert eine anspruchsvolle, systemische Perspektive auf die Erosion demokratischer Prozesse, die sowohl für Kritiker:innen der Tech-Industrie als auch für politisch Interessierte wertvoll ist.