Berlin Code – mit Linda Zervakis: Bürgergeld, Verbrenner-Aus und eine Wurst
Koalitionskrise statt Herbst der Reformen: Berlin Code beleuchtet interne Machtkämpfe und symbolische Kleinkriege.
Berlin Code – mit Linda Zervakis
52 min read2694 min audioIm ARD-Politikpodcast „Berlin Code“ besprechen Linda Zervakis und die Korrespondent:innen Kerstin Palzer (CDU-Expertin) und Moritz Röttele (SPD-Experte) die verhaltene Stimmung nach der jüngsten Koalitionsausschuss-Nacht. Die schwarz-rote Koalition streitet sich offen über Bürgergeld-Reform, Vertrauensverlust, Machtspielchen innerhalb der Fraktionen und die Zukunft des Verbrenner-Aus 2035. Der Ton ist rauer geworden: Die SPD fühlt sich als kleiner Partner nicht ernst genommen, während Teile der Union Merkel-ähnliche „Alleingänge“ befürchten und lieber mit den Grünen rechnen. Hinzu kommt ein Streit um die EU-Veggie-Wurst-Namensverordnung, den die Union als „Klartext für Verbraucher:innen“ feiert, während die SPD ihn für Ablenkung hält.
### 1. Vertrauensfrage statt Routine
Die Koalition verbrachte achteinhalb Stunden in „nicht guter Arbeitsatmosphäre“; mehrere Quellen sprechen von „Erpressung“ und gebrochenen Absprachen. Zitat Moritz Röttele: „Die SPD kann sich auf das Wort des Kanzlers nicht mehr verlassen.“
### 2. Reform statt Revolution
Das neue Bürgergeld („Grundsicherung“) wird härter sanktioniert: 30 % Leistungskürzung ab dem zweiten Terminschwartz, 100 % plus Mietkürzung danach. Kerstin Palzer: „Die Union fühlt sich sicher, weil 86 % der Bevölkerung härtere Strafen befürworten.“
### 3. Machtkampf in der Union
Fraktionschef Jens Spahn erntet intern Kritik, weil er Druck aus den Wahlkreisen („Jetzt liefern!“) nicht kanalisieren kann. Palzer: „Spahn wurde gewarnt: Vergiss uns nicht, Jens!“
### 4. SPD als „innerkoalitionäre Opposition“
Lars Klingbeil gilt als „alternativlos“ aber „nicht stark genug“, Bärbel Bas als kompetent, aber „nicht auf Augenhöhe“ behandelt. Die Partei akzeptiert harte Sanktionen, um „Gerechtigkeitslücke“ zu schließen.
### 5. Verbrenner-Aus wird zum Standort-Drama
Söder pocht auf „Technologieoffenheit“ bis 2035 hinein; SPD denkt über Hybrid- und grünen-Stahl-Kompromisse nach. Röttele: „Es gibt kaum EU-Mehrheit für Nachverhandlung.“
### 6. Wurst oder Veggie – symbolischer Kulturkampf
Die Union begrüßt das EU-Parlaments-Votum gegen fleischähnliche Begriffe für Pflanzenprodukte. Palzer: „Unionswähler sind klug genug, Tofu von Krakauer zu trennen.“ SPD nennt es „neue Bürokratie statt Bürokratieabbau“.
## Einordnung
Die Sendung liefert trotz prominenter ARD-Marke kaum analytische Tiefe: Insider-Details dominieren, während strukturelle Fragen (Handlungsfähigkeit der Koalition, soziale Folgen der Sanktionen, Klimawirkung der Autopolitik) nur angerissen werden. Die Journalist:innen bleiben in ihrer Wahrnehmung gefangen: Palzer und Röttele berichten pointiert, aber sie hinterfragen kaum, warum die Union trotz fehlender Mehrheit „Durchregieren“ fordert oder warum die SPD bereit ist, ihr eigenes Projekt zu demolieren. Stattdessen wird Konflikt als „Gefühl“ naturalisiert; Differenzierung etwa zwischen berechtigten Anliegen der Industrie und einfachem Populismus bleibt aus. Der Fokus auf „Stimmung“ und „Machtspielchen“ entspricht dem Berliner Politik-Entertainment-Format, verfehlt aber die Chance, Machtverhältnisse und Interessen hinter den Einzelthemen offenzulegen. Die Folge ist informativ für parlamentarische Gossips, aber sie liefert keine belastbare Orientierung in den großen Streitthemen Sozialstaat, Klimaschutz und Standortfragen.