Machtwechsel – mit Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander: Baggern um Deutschland – Schwarz-Rot übt den Gleichklang
Die Machtwechsel-Folge zeigt, wie informelle Spielregeln im Bundestag versagen und was das für Gericht und Infrastruktur bedeutet.
Machtwechsel – mit Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander
2744 min audioIm Podcast "Machtwechsel" diskutieren Dagmar Rosenfeld (The Pioneer) und Robin Alexander (WELT) über die verzögerte Wahl von drei neuen Richterinnen für das Bundesverfassungsgericht, Haushaltsprobleme bei Infrastrukturprojekten und Friedrich Merz' Bürgergeld-Initiative. Die 45-minütige Folge wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Blockadehaltung im Bundestag und die Folgen für die Rechtsprechung.
### 1. Historische Blockade bei Verfassungsrichter:innen
Die Besetzung der drei freien Richterposten verzögerte sich um mehr als zwei Monate, was es in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts noch nie gegeben habe. Grund sei, dass sich Union und Ampelkoalition weder auf eine Quotierung noch auf geeignete Kandidat:innen einigen konnten. Die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag funktioniere nur noch als Machtkampf, nicht mehr als überparteiliche Auswahl, so Alexander: „das ist im Prinzip ein Zeichen für die Funktionsunfähigkeit des Parlamentarismus“.
### 2. Informelle Regeln als Gefahr für die Gewaltenteilung
Es gebe keine gesetzliche Verteilung der Posten, sondern nur eine „informelle“ Absprache, die inzwischen bröckelt. Weil künftig die AfD stärker werde und die Fraktionen kleiner, drohe 2025 eine noch größere Hängepartie. Einzig eine Verfassungsänderung – Weg von der Zweidrittelmehrheit oder Wahl durch ein überparteiliches Gremium – könne das Prozedere entpolitisieren, scheint aber utopisch, weil dafür wiederum Zweidrittel der Abgeordneten zustimmen müssten.
### 3. Bundeswehr-Sondervermögen blockiert Straßeninvestitionen
Trotz der 100-Milliarden-Finanzspritze für die Bundeswehr fehlten im Haushalt Gelder für marode Autobahnen und Brücken. Die Diskussion zeigt, wie stark die Politik durch einzelne Kammerdebatten isoliert sei: „das Sondervermögen für die Bundeswehr ist ja nicht das Sondervermögen für die Infrastruktur“, wiederholt Alexander mehrfach – ein Beispiel für die mangelnde Querschnittsplanung im Berliner Etat.
### 4. Merz macht Bürgergeld zur Chefsache
Friedrich Merz nutze die Reformpläne als Signal gegen die Ampel und kündige einen eigenen Gesetzentwurf an. Die Union wolle Sozialleistungen stärker an Leistungsanforderungen koppeln und so „Missbrauch“ eindämmen. Rosenfeld sieht darin eine strategische Neuausrichtung der CDU/CSU vor der Landtagswahlserie 2024, wobei offen bleibt, ob ein Kompromiss mit dem Bundesrat realistisch ist.
### 5. Keine schnelle Lösung in Sicht
Beide Themen – Richterwahl und Sozialbudget – demonstrieren einerseits den Druck, den die Opposition aufbauen kann, andererseits die Schwäche von Koalitionsverhandlungen ohne klare Mehrheitsverhältnisse. Die Moderator:innen zeigen sich pessimistisch, dass sich die Parteien vor der nächsten Legislaturperiode auf neue Spielregeln einigen werden.
## Einordnung
Die Folge liefert eine anschauliche Momentaufnahme parlamentarischer Erstarrung. Die journalistische Stärke liegt darin, komplexe Prozedere (Zweidrittelmehrheit, informelle Quotierung, Sondervermögen) verständlich zu machen und politische Machtkämpfe schonungslos zu benennen. Kritisch bleibt, dass externe Expertise fehlt: Weder Verfassungsrechtler:innen noch Haushaltsexpert:innen kommen zu Wort, sodass die Analyse auf Insider-Wissen der beiden Redakteur:innen basiert. Die Wiederholung einzelner Sätze wirkt redaktionell nicht zuletzt dadurch aufgebläht, dass Alexander dieselbe Aussage mehrfach fast wortwörtlich formuliert. Perspektivisch dominieren Berliner Parlamentslogik und Parteienstrategien; wie die Verfahren Bürger:innen konkut betreffen oder wie internationale Gerichte mit vergleichbaren Problemen umgehen, bleibt außen vor. Dennoch gelingt den beiden ein klarer Bogen: Ohne kulturellen Kompromiss und verbindliche Regeln droht die weitere Institutionenblockade – mit Folgen für Rechtsprechung und Infrastruktur.
Hörempfehlung: Wer die aktuellen Stockungen in Bundestag und Bundesrat verstehen will, erhält hier eine prägnante, wenn auch zentriert-insiderische Analyse.