Studio Ett: Studio Ett 2025-09-29 kl. 22.12
Jurist:innen kritisieren den schwedischen Plan, Verbrechen zu erforschen, wenn Tatverdächtige im Ausland leben, und warnen vor völkerrechtswidrigen Folgen.
Studio Ett
4950 min audioStudio Ett diskutiert den schwedischen Regierungsplan, der Polizei die Ermittlung von Verbrechen erlauben soll, bei denen die Tatverdächtigen im Ausland leben. Jurist:innen kritisieren, dass dies gegen Völkerrecht verstoßen könnte.
Die Sendung führt Dennis Martinsson, Strafrechtsdozent an der Universität Stockholm, und Fredrik Wersäll, Präsident des Svea-Hovrätts-Gerichts, die beide erklären, dass das Vorhaben die territoriale Rechtsprechung untergräbt und zu nutzlosen Ermittlungen führen dürfte. Als Beleg dient ein ungelöster Mordfall aus Upplands Väsby, dessen Hauptverdächtiger sich im Ausland aufhält. Die Expert:innen fordern stattdessen bessere Auslieferungsabkommen.
### Territorialprinzip im Völkerrecht gefährdet
Martinsson betont, dass Staaten grundsätzlich nur auf eigenem Gebiet ermitteln dürften. Das Projekt würde diese Regel „aushebeln“ und könne internationale Konflikte provozieren, etwa durch inoffizielle Geheimoperationen ("rendition").
### Auslieferungsproblematik bleibe ungelöst
Der Vorschlag würde das Kernproblem nicht anpacken: Ohne Auslieferung drohe „nur eine liegengebliebene Ermittlung“. Eine starke Beweisbasis für Auslieferungsersuchen brauche man, aber die Entscheidung liege letztlich beim Aufenthaltsstaat.
### Falsche Versprechen an Opfer
Wersäll warnt vor „falschen Hoffnungen“ für Opfer, wenn Ermittlungen wegen mangelnder Anklagebefugnis im Sande verlaufen. Gleichzeitig entstünde für Beschuldigte Rechtsunsicherheit.
### Kritik auch von Polizei und Generalstaatsanwaltschaft
Laut Wersäll teilen Polismyndigheten und Riksåklagaren die Einschätzung, dass neue Befugnisse „die Probleme nicht lösen“. Notwendig sei vielmehr bessere internationale Zusammenarbeit.
### Alternative: Auslandsübernahme der Verfahren
Bestehende Möglichkeiten wie die Übertragung des Verfahrens an den Aufenthaltsstaat oder gezielte Auslieferungsersuchen sollten gestärkt werden, so die Interviewten.
### Einzige Unterstützung durch Brå
Das brotsförebyggende Brå habe sich im Gutachten positiv gezeigt; Martinsson kontert, die Behörde besitze aber keine unmittelbare Ermittlungserfahrung.
## Einordnung
Die Sendung präsentiert eine klare, juristisch fundierte Gegenposition zum Regierungsvorhaben. Die Expert:innen nutzen präzise Völkerrechtsbegriffe und konkrete Fallbeispiele, um die Unverhältnismäßigkeit des Vorhabens aufzuzeigen. Besonders wirksam: die wiederholte Betonung, dass Polizei und Anklagebehörden selbst das Gesetz ablehnen. Kritisch bleibt, dass internationale Auslieferungspraxis kaum beleuchtet wird; Hörer:innen erfahren nicht, wie häufig Schweden tatsächlich erfolgreich Personen ausliefert. Der Fokus auf Territorialprinzip und Opferschutz verleiht dem Beitrag argumentative Stringenz, birgt aber auch die Gefahr, alternative Sicherheitsansätze zu ignorieren. Insgesamt bietet die Diskussion eine differenzierte juristische Auseinandersetzung, ohne politische Alternativen auszuwalzen.