The Lawfare Podcast: Lawfare Archive: The Supreme Court Rules in Murthy v. Missouri
Experten blicken auf die Supreme-Court-Entscheidung zu „Jawboning“: Warum wurde die Klage auf formaler Ebene abgewiesen und welche Risiken bleiben für digitale Redefreiheit?
The Lawfare Podcast
2608 min audioDer Lawfare-Podcast vom 28. Juni 2024 diskutiert die jüngste Entscheidung des US Supreme Court im Fall Murthy v. Missouri, in der die Kläger:innen die Bundesregierung beschuldigten, soziale Medienplattformen unter Druck zu setzen, um Inhalte zu entfernen – sogenanntes „jawboning“. Gastgeber Benjamin Wittes spricht mit Kate Klonick von der St. John’s University School of Law und Matt Perault, Director des Center on Technology Policy an der University of North Carolina. Das Hauptthema ist, warum der Supreme Court die Klage aufgrund fehlender Klagebefugnis (standing) abwies, ohne die Meinungsfreiheitsfrage zu klären.
### 1. Klagebefugnis statt Meinungsfreiheitsklärung
Das Gericht habe sich auf formelle Gründe konzentriert: die Kläger:innen hätten keinen direkten Schaden nachweisen können. „They ruled on standing grounds, saying that the plaintiffs … did not have standing“ – wodurch die Kernfrage nach Regierungsdruck auf Plattformen offenbleibe und künftige Prozesse wahrscheinlich seien.
### 2. Aufhebung der weitreichenden Fifth-Circuit-Verfügung
Die weitreichende Einstweilige Anordnung des Berufungsgerichts, die fast jede Kommunikation zwischen Regierung und Plattformen unterband, sei aufgehoben. Das bezeichne Perault als „substantial win for the Biden administration“, erlaube aber keineswegs unbegrenzte Gespräche mit Tech-Unternehmen.
### 3. Dissente als Warnschuss
Die drei konservativen Richter:innen (Alito, Thomas, Gorsuch) hätten in ihrer Minderheitsmeinung signalisiert, sie sähen bereits genug Hinweise auf Koercion. Die Dissente fungieren „als road map for future litigation“, um künftig strengere Maßstäbe für staatliche Einflussnahme durchzusetzen.
### 4. Unklarer Prüfmaßstab für Koercion
Die Fifth Circuit habe einen „sehr weiten“ Kriterienkatalog vorgeschlagen, der jede Druckausübung als Verstoß werte. Experten erwarten ein „nuancierteres“ Modell, das nach Art der Anfrage („suggestion“ vs. „threat“), regulatorischem Einfluss und Kontext differenziert.
### 5. Politische Brisanz der Inhalte
Die ursprüngliche Klage betraf vor allem Desinformation zu Wahlen und Impfungen. Der Supreme Court habe offenbar ein „cleaner case“ abgewartet, um sich nicht in hochpolitisierte Debatten einzumischen. Solange keine klare Kausalität zwischen Behördenvorgaben und einzelnen Löschungen nachweisbar sei, blieben entsprechende Klagen erfolglos.
## Einordnung
Als journalistisches Fachgespräch zeigt sich eine klare Struktur: Die Interviewerfragen sind präzise, die Expert:innen liefern kontextreiche Erklärungen und differenzierte Einschätzungen statt pauschaler Urteile. Besonders herausstechend ist das transparente Einräumen juristischer Unschärfen: Weder wird die Regierung pauschal entlastet noch die Plattformen als willfährige Erfüllungsgehilfen dargestellt. Die Diskussion macht deutlich, dass die First-Amendment-Debatte über digitale Diskursregulierung weitgehend offen ist; die Entscheidung auf formaler Ebene verzögert eine inhaltliche Weichenstellung. Gleichzeitig fehlen Stimmen aus der Zivilgesellschaft oder Betroffene staatlicher Meldeaktionen – ein Englisch- und Rechtsexperten-Diskurs, der Machtasymmetrien zwischen Regierung und Tech-Konzernen durchleuchtet, aber weniger die Perspektive von Nutzer:innen einfängt. Die Sendung bietet für juristisch Interessierte eine klare Analyse, verlangt jedoch Vorwissen über US-Verfassungsrecht und Tech-Ökosystem.