Alice Bota und Michael Thumann, beide Osteuropa-Experten der ZEIT, diskutieren in der aktuellen Folge des "Ostcast" die finnische Sicherheitsstrategie angesichts russischer Bedrohungen. Die Journalist:innen berichten von ihrer Recherche in Finnland und zeigen, wie das Land mit einer 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland hybriden Angriffen begegnet – ohne in Panik zu verfallen. Finnland setzt auf eine Kombination aus militärischer Präsenz, Resilienz und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Die Wehrpflicht wurde nie abgeschafft, bis zu einer Million Reservisten könnten mobilisiert werden. Die finnische Küstenwache zeigte den Journalist:innen, wie sie Schiffe der russischen Schattenflotte schnell entern kann, etwa jene, die 2023 die Ostsee-Infrastruktur beschädigten. Auch im Umgang mit Desinformation gelte Finnland als Vorbild: Als die Journalistin Jessica Aro 2017 Ziel einer Hasskampagne wurde, solidarisierte sich die Gesellschaft – Täter wurden verurteilt. Die Finnen hätten früh begriffen, dass Schwäke Russland provoziere, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Dennoch stellen die Moderator:innen klar, dass Finnlands Weg nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar sei – die Gesellschaft sei homogener, der Konsens über Sicherheitsfragen größer. Die Episode wirbt für einen nüchternen Blick auf Russland und mahnt, ohne Rüstung und gesellschaftliche Vorbereitung bleibe Frieden fragil. ### Finnland mobilisiert bis zu 20 % seiner Bevölkerung Das Land kann seine Armee von 24.000 auf 300.000 Soldat:innen binnen Tagen hochfahren – und im Ernstfall auf eine Million. Die Reservist:innen werden bis 65 einberufen, „auf Wunsch der Reservisten“, wie der Verteidigungsminister erzählte, da ältere Soldat:innen Altersdiskriminierung witterten. ### Schattenflotte: Finnland geht gegen russische Öltanker vor Nachdem 2023 die Ostsee-Pipeline Estlink 2 beschädigt wurde, lockerte die finnische Küstenwache das verdächtige Schiff „Eagle S“ in Hoheitsgewässer, enterte es und leitete ein Strafverfahren gegen Kapitän und Crew. Die Übung, die Bota und Thumann miterlebten, zeige: „Sie haben ihnen einfach gezeigt, wo der Hammer hängt.“ ### Gesellschaftlicher Konsens statt Diskussionskultur In Finnland gelte Verteidigung als „absolute Priorität“, erklärt Thumann. Bunker sind unter Wohnvierteln Pflicht, Menschen üben Wochenenden lang. Die Debatte darüber, ob 65-Jährige Reservist:innen dienen sollen, existiert kaum – für Deutsche hingegen „unvorstellbar“, so die Einschätzung. ### Desinformation bekämpfen statt aussitzen Nach der gezielten Hetze gegen Jessica Aro schulte Finnland Hunderte Regierungsbedienstete in Kampagne-Erkennung, verurteilte Täter und stärkte Medien. In Deutschland blieben vergleichbare Attacken auf Journalist:innen lange ohne gesellschaftliche Antwort, bemerken die Moderator:innen. ### Historische Erfahrung formiert Russland-Bild Als ehemalige Teil des Russischen Reiches (1809-1917) und Opfer des Winterkriegs 1939/40 kenne Finnland die Gefahr aus dem Osten. Die Finnen hätten deshalb „früher als wir gelernt, dass Kooperation mit Russland dort endet, wo die eigene Souveränität beginnt“, resümiert Bota. ## Einordnung Der Ostcast wirkt wie ein Plädoyer für eine realistische Sicherheitspolitik: nüchtern, faktenreich und ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Bota und Thumann gelingt es, militärische, gesellschaftliche und historische Aspekte miteinander zu verweben. Besonders stark: die direkten Eindrücke von Übung und Bunker-Besuch, die greifbar machen, wie tief Resilienz im Alltag verankert ist. Stilistisch bleibt der Podcast trotz schwerer Themen entspannt; die beiden Moderator:innen vermeiden Alarmismus und liefern stattdessen differenzierte Hintergründe. Kritisch anzumerken: Gesellschaftliche Homogenität und hoher Bildungsstand werden als Erfolgsfaktoren für finnische Resilienz benannt, ohne dass strukturelle Unterschiede zur deutschen Einwanderungsgesellschaft reflektiert würden. Auch bleibt die Frage offen, wie sich Sicherheitskonzepte in offeneren, diversen Gesellschaften demokratisch legitimieren lassen. Dennoch liefert die Episode wertvolle Denkanstöße für die deutsche Sicherheitsdebatte – gerade angesichts neuer Drohnenvorfälle und unsicherer Verantwortungsstrukturen.